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Vom Risikoträger zum Präventionspartner: Technik trifft Ethik – Teil 4

(Bild: © gleb - stock.adobe.com)

Vom Risikoträger zum Präventionspartner: Technik trifft Ethik – Teil 4

19. September 2025

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8 Min. Lesezeit

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Im Blickpunkt

Viele Versicherer tun sich noch schwer damit, Künstliche Intelligenz nicht nur strategisch zu planen, sondern auch praktisch umzusetzen. In Teil 4 der Serie „Vom Risikoträger zum Präventionspartner“ beleuchtet Prof. Dr. Stefan Heinemann, wie technische Hürden, kulturelle Vorbehalte und ethische Fragen die Transformation bremsen – und warum gerade die Verbindung von Technologieoffenheit und Verantwortung entscheidend für die Zukunft der Branche ist.

Artikel von:

Prof. Dr. Stefan Heinemann

Prof. Dr. Stefan Heinemann

KI-Experte und Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule

Die vergessene Transformation?

Diese Frage ist wichtig, denn man darf nicht glauben, dass überall schon High-Tech-KI munter vor sich hin werkelt. Die Realität in vielen Häusern ist eher zäh. Ich beobachte häufig eine Diskrepanz zwischen Vision und Wirklichkeit. Eine der Hauptbremsen ist sicherlich die alte IT-Landschaft vieler Versicherer. Die Daten liegen oft in Silos: jede Sparte hat ihr eigenes System, der Vertrieb hat wieder ein anderes CRM, und eine KI, die Mehrwert bringen soll, braucht aber Zugriff auf möglichst alle Daten. Das technisch erst mal zu ermöglichen, ist oft ein Mammutprojekt.

Dann gibt es das Know-how-Problem: KI-Experten sind heiß umkämpft am Arbeitsmarkt. Versicherer können mit den Gehältern und dem hippen Image von Tech-Konzernen oft nicht mithalten. Also haben viele Unternehmen gar nicht die richtigen Leute an Bord, um KI-Projekte voranzutreiben. Oder sie lagern es an Beratungsfirmen aus – dann fehlt aber intern das Verständnis und die Identifikation. So entsteht eine Art Umsetzungslücke: Man weiß theoretisch, was man will, aber praktisch bekommt man es nicht nachhaltig implementiert.

Ein weiterer Punkt ist die Kultur und vielleicht eine gewisse Risikoaversion – ironisch in der Risikobranche. Versicherer sind historisch vorsichtige Wesen. KI-Implementierung erfordert aber Experimentierfreude, agile Vorgehensweisen und Lernbereitschaft. Da herrscht in manchen Häusern noch eine „Wenn, dann richtig“-Mentalität: Lieber gar nicht KI einsetzen als ein halbfertiges System, das vielleicht Fehler machen könnte. Und natürlich sind da auch regulatorische Fragen: In einem hochregulierten Umfeld muss man genau auf Datenschutz, Compliance, Transparenz achten. Das verlangsamt oft die Einführung neuer Technologien.

Viele Versicherer stecken im „Tal der Ernüchterung“. Man hat viel über KI geredet, Pilotprojekte gestartet. Die großen Effizienzgewinne oder Umsatzsprünge sind aber ausgeblieben, weil man selten über die Pilotphase hinausgekommen ist.

Von der Strategie zur Umsetzung

Was also tun? Ich meine, das Defizit liegt oft nicht im Wollen, sondern im Können. Die Strategien sind auf dem Papier da, aber in der Umsetzung hapert es. Hier helfen aus meiner Sicht klare Fahrpläne und Commitment von oben. Wenn der Vorstand wirklich versteht, was auf dem Spiel steht, dann muss er Prioritäten setzen, Budgets freimachen und Umbau in Kauf nehmen. Einige Unternehmen machen das ja vor – die investieren massiv in ihre digitale Infrastruktur, schulen hunderte Mitarbeiter in Data Science Basics, bauen Kooperationen mit InsurTechs auf etc. Aber das sind eher Vorreiter, viele andere zögern noch.

Interessant finde ich, dass trotz der Defizite die Zuversicht oft da ist: In Umfragen sagen viele Versicherungsentscheider, KI sei absolut strategisch wichtig und werde Vorteile bringen. Es fehlt also nicht an Erkenntnis, nur an der nachhaltigen Umsetzung. Vielleicht braucht es auch mehr Austausch in der Branche.

Technik wartet nicht

Meine Hoffnung ist, dass wir in den nächsten paar Jahren diese Klippe überwinden. Denn eines ist klar: Die Technik entwickelt sich weiter, sie wartet nicht auf uns. Wer zu lange in der Konzeptphase stecken bleibt, wird irgendwann von agileren Playern – seien es InsurTech-Startups oder BigTechs – abgehängt. Das sollte Anreiz genug sein, die Umsetzungsdefizite mutig anzugehen.

Ethik als Fundament

Wie können sich denn nun Versicherer strategisch aufstellen, um zwischen Technologieoffenheit und ethischer Verantwortung die Balance zu halten? Reicht es, KI „einfach einzuführen“ – oder braucht es ein neues kulturelles Fundament? Ein wunder Punkt und ein Lieblingsthema von mir zugleich. Ich bin fest überzeugt, dass Technologie und Ethik Hand in Hand gehen müssen, gerade in einem so vertrauenssensiblen Bereich wie Versicherungen.

Konkret würde ich sagen: Versicherer sollten ethische Leitlinien für den Einsatz von KI ausarbeiten – und zwar nicht nur fürs Schaufenster, sondern wirklich gelebt. Zum Beispiel: „Wir verwenden keine diskriminierenden Merkmale bei der Tarifierung, auch wenn die Daten uns vielleicht Korrelationen liefern.“ Oder: „Wir geben dem Kunden Transparenz darüber, warum er welchen Preis zahlt.“ Gerade Letzteres halte ich für wichtig: Transparenz schafft Vertrauen.

Ein weiterer Punkt: Datenschutz und Datensicherheit strikt einhalten. Das ist auch ethisch, nicht nur rechtlich geboten. Nur weil KI aus vielen Daten lernt, heißt das nicht, dass wir uns alles an Daten nehmen sollten, was geht. Der gläserne Kunde ist auch wirtschaftlich langfristig vermutlich nicht attraktiv. Also sollten wir es lassen, selbst wenn es technisch möglich wäre.

Präzision im Dienst der Solidarität

Ich plädiere oft für das Konzept der „sozialen Präzision“. Darunter verstehe ich, dass wir die Präzision der KI – die ja Daten gnadenlos in Muster gießt – mit einem sozialen Ausgleich kombinieren. Technologieoffenheit ja, aber immer mit der Frage: Wem nützt es? Nur dem Unternehmensergebnis, oder auch dem Kunden, der Gesellschaft?

Ein Beispiel: Wenn KI uns erlaubt, Hochrisiko-Kunden genau zu identifizieren, könnte man diese Leute einfach ablehnen oder extrem teuer machen. Sozial wäre es jedenfalls ein Desaster, denn genau diese Menschen bräuchten Versicherung am dringendsten. Also wäre ein ethischer Ansatz: Nutze die KI, um Hochrisikokunden früh zu erkennen – aber nicht, um sie auszugrenzen, sondern um ihnen gezielt zu helfen, ihr Risiko zu senken, oder um Rückstellungen zu bilden, damit man sie trotzdem fair versichern kann.

Ethik operationalisieren

Operationalisiert werden kann Ethik z.B. durch Ethik-Gremien oder Beauftragte im Unternehmen, die bei KI-Projekten ein Veto einlegen dürfen, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Einige Versicherer richten tatsächlich KI-Ethikräte ein oder arbeiten mit externen Ethik-Experten zusammen, um Algorithmen prüfen zu lassen. Auch enge Beobachtung der Regulatorik ist wichtig.

Letztlich ist es eine Balancefrage, was man sagt. Man darf nicht in Technologiefeindlichkeit verfallen – sonst verpasst man Chancen. Aber man darf auch nicht blindlings alles implementieren, was möglich ist, ohne die Konsequenzen zu bedenken.

Ethik als Erfolgsrezept

Ich denke, wenn Versicherer sich ihrer traditionellen Rolle bewusst bleiben – wir sind Teil eines gesellschaftlichen Sicherheitsnetzes – dann haben sie schon einen guten Kompass. Dann stellt man sich automatisch die Frage: „Bringt diese neue KI-Anwendung wirklich einen gesellschaftlichen Nutzen? Ist sie fair? Würde ich das meiner eigenen Familie so verkaufen wollen?“

Ethik ist kein Innovationskiller, im Gegenteil. Eine KI-Lösung, die ethisch durchdacht ist, wird langfristig tragfähiger sein. So gesehen, ist die Verbindung von Technologieoffenheit und Ethik sogar ein Erfolgsrezept.

Den gesamten Beitrag lesen Sie in der AssCompact Oktober-Ausgabe!

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