Die Versicherung der Zukunft wird nicht mehr nur zahlen, wenn etwas passiert – sie wird verhindern, dass überhaupt etwas passiert. Was das für Geschäftsmodelle, Kundenbeziehungen und das ethische Selbstverständnis der Branche bedeutet, erläutert Prof. Dr. Stefan Heinemann in Teil 1 der Serie.
Artikel von:

Prof. Dr. Stefan Heinemann
KI-Experte und Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule
Von der Reaktion zur Prävention
Das ist tatsächlich ein grundlegender Paradigmenwechsel. Bisher waren Versicherer vor allem Risikomanager im klassischen Sinne: Sie kalkulierten Risiken und sprangen finanziell ein, wenn ein Schaden eingetreten war. Doch nun, im Zeitalter von KI und Data, zeichnen sich neue Möglichkeiten ab.
Plötzlich können wir Risiken viel genauer vorhersagen – und wenn wir das können, dann stellt sich automatisch die Frage: Warum nur darauf warten, dass etwas passiert? Sollte ein Versicherer nicht lieber helfen, das Unglück ganz zu vermeiden?
Auf den ersten Blick klingt das großartig, fast wie die Erfüllung eines alten Traums der Versicherung: Statt ständig Schäden regulieren zu müssen, verhindert man sie einfach.
Allerdings: Wenn Versicherer beginnen, aktiv Risikovermeidung zu betreiben, dann werden sie zu einer Art Schutzengel oder Coach im Hintergrund des Kundenlebens.
In Skandinavien und den USA sieht man erste Ansätze: Da stellen Versicherer ihren Kunden zum Beispiel vernetzte Sensoren fürs Haus zur Verfügung, die Wasserlecks oder Feuer sofort melden, damit Schäden gar nicht erst groß werden. Oder sie bieten Gesundheits-Apps und Bonusprogramme an, die einen zu mehr Bewegung motivieren, damit man länger gesund bleibt.
Eine neue Dimension der Kundenbeziehung
Man spürt förmlich, dass hier eine neue Dimension der Kundenbeziehung entsteht. Wenn meine Versicherung mir hilft, Risiken gar nicht erst eintreten zu lassen, entwickelt sich ein positiveres, vielleicht partnerschaftlicheres Verhältnis. Weg vom Bild des reinen „Zahlers im Schadenfall“ hin zum Risiko-Coach, der an meiner Seite steht.
Ich finde diese Vision faszinierend, aber ich gebe auch zu: Sie ist herausfordernd. Denn es bedeutet für die Branche ein völliges Umdenken – kulturell, geschäftsmodellseitig, vielleicht sogar vom Selbstverständnis her.
KI und die Grundlogik der Versicherung
Die Grundlogik der Versicherung beruht seit jeher darauf, dass viele Menschen sich zusammenschließen, um wenige unerwartete Schäden gemeinschaftlich zu tragen.
Es geht um das Kalkulieren von Wahrscheinlichkeiten: Ich weiß nicht, ob mir mein Haus abbrennt, aber ich weiß aus Erfahrung, wie oft Häuser im Schnitt brennen – daraus ergeben sich Prämien und Leistungsversprechen.
Nun kommt KI ins Spiel und verspricht, diese Wahrscheinlichkeiten immer exakter zu berechnen, vielleicht sogar individuelle Vorhersagen zu treffen.
Natürlich ist das etwas zugespitzt. Ganz so einfach ist es nicht. KI reduziert Risiken, aber sie schafft sie nicht komplett ab. Es gibt immer noch Zufälle, Unwägbarkeiten und das berühmte „Unbekannte“.
Doch die Rollen verschieben sich. Nehmen wir an, KI kann in der Kfz-Versicherung durch Fahrdaten, Umgebungssensoren und Verkehrsdaten fast in Echtzeit berechnen, wie wahrscheinlich ein Unfall in den nächsten Kilometern ist.
Dann wird Versicherung plötzlich zu etwas sehr Dynamischem: eher wie ein ständiger Begleiter, der mir vielleicht für die nächste Stunde genau den passenden Schutz anbietet.
Zukunft und Ethik
Tief im Kern bleibt Versicherung bestehen. Denn Unsicherheit wird es weiterhin geben – vielleicht auf einem anderen Niveau oder in anderen Bereichen, aber sie verschwindet nicht.
Ich bin überzeugt, die Branche muss ihre Wertschöpfung neu definieren. Wenn das reine Tragen von finanziellen Risiken weniger im Vordergrund steht, rücken andere Fragen nach vorne.
Am Ende ist die Idee der Versicherung, dass Menschen sich gegenseitig stützen gegen Unwägbarkeiten. KI kann diese Unwägbarkeiten verringern und neu verteilen, aber sie nimmt uns nicht das menschliche Bedürfnis, sich abzusichern. Sie ändert „nur“ die Art und Weise, wie wir das tun.
Den gesamten Beitrag lesen Sie in der AssCompact Juli-Beitrag!
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