Gesundheitsrisiken oder potenzielle Gefahren für Gebäude und Autos erkennen, bevor sie zum Versicherungsfall werden? Big Data, KI und Co. machen solche präventiven Ansätze möglich – erfordern von Versicherern allerdings einen technologischen und kulturellen Wandel. Bei richtiger Umsetzung winken Vorteile für alle Seiten, mit denen sich die Branche gegen einen gefährlichen Trend wappnen kann.
Artikel von:

Jaime Esteban Molina
Product Management und Strategy Director bei Fadata
Historisch betrachtet basieren die Geschäftsmodelle der Versicherungsbranche auf einem Aktion-Reaktion-Konzept. Was sich über lange Zeit als ein solider Ansatz bewährt hat, ist über die letzten Jahre allerdings vermehrt ins Stocken geraten. Ein zentraler Grund dafür: Das Verhältnis von Versicherungsansprüchen und eingezahlten Prämien gerät aus dem Lot, immer mehr Versicherungsportfolios verlieren in der Konsequenz an Rentabilität. Besonders stark betroffen ist dabei der Kompositbereich, der als eine eigentlich tragende Säule der Branche besonders unter den Entwicklungen der letzten Jahre gelitten hat – 2023 sogar erstmals mit einem negativen versicherungstechnischen Ergebnis. Daneben kämpfen aber auch Kranken- und Lebensversicherungen mit steigenden Gesundheitskosten, während vor allem Wohngebäude- und Kfz-Versicherer die Konsequenzen von Naturkatastrophen und Klimawandel in immer engerer Taktung und mit hohen Schadensummen spüren.
Auch mit Blick auf diese Entwicklungen steht die Versicherungsbranche an einem Scheideweg. Rote Zahlen und steigende Beiträge machen ein „Weiter so“ beinahe unmöglich. Dass Versicherer dieser Entwicklung bei Weitem nicht gänzlich hilflos gegenüberstehen, ist vor allem auf fortschrittliche Technologien und neue Versicherungsmodelle zurückzuführen. Vielversprechende Konzepte dafür gibt es bereits – allen voran Geschäftsmodelle, die verstärkt auf Prävention setzen und Risiken minimieren. Die Idee dahinter ist so einfach wie effektiv: Mit weniger Schadenzahlungen sinken sowohl die Loss Ratio als auch die Prämien für Versicherte. In der Theorie eine Win-Win-Situation, bei der die Umsetzung allerdings oftmals an den noch nicht ausgereiften IT-Lösungen und der hohen Komplexität zu scheitern drohte. Mit dem Aufstieg der Künstlichen Intelligenz und Lösungen aus Bereichen wie dem Internet of Things, Machine Learning oder Data Visualisation hat sich der digitale Wind allerdings gedreht. Technologie-basierte, präventive Versicherungsmodelle haben den entscheidenden Reifegrad erreicht und könnten eine Lösung für die Herausforderungen der Branche darstellen
Präventive Ansätze im Alltag
Versicherer, die den Fokus ihres zentralen Geschäftsmodells weg von reiner Schadenregulierung hin zu einem 360-Grad-Schutz ihrer Kunden verschieben, gehen im Grunde ein Tauschgeschäft ein: essenziell wichtige Daten der Versicherten gegen einen ganzen Pool möglicher Benefits und Vergünstigungen. Entscheidend sind dafür Schnittstellen zwischen Versicherungsunternehmen und ihren Kunden, die sich zur Datensammlung eignen – etwa Apps, Wearables oder Internet-of-Things-Geräte. Den Anwendungsfällen sind dabei kaum Grenzen gesetzt. So können beispielsweise Sensoren in Autos das Fahrverhalten analysieren und Unfallrisiken ermitteln, was besonders für große Fahrzeugflotten mit hohen Versicherungsbeiträgen interessant ist. Aber auch risikoarme und rücksichtsvolle Privatpersonen können auf diese Weise Vorteile erwarten, etwa in Form von sinkenden Beiträgen.
Einer der wichtigsten Anwendungsfälle präventiver Versicherungsmodelle ist aber auch weiterhin der Gesundheitssektor. Datengetriebene Analysen der entsprechenden Metriken – vom Fitnesstracker am Handgelenk über regelmäßige Arztbesuche bis zur App zum Zählen von Schritten – können gesundheitliche Risiken minimieren und zu einem gesünderen Lebensstil animieren. Besonders in Verbindung mit Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen können Versicherte von diesen präventiven Angeboten profitieren, indem Beiträge sinken, Benefits wie die vergünstigte Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio angeboten werden und, der wichtigste Punkt, Anreize für einen gesünderen Lebenswandel gegeben werden.
Weitere Anwendungsfälle sind beispielsweise Frühwarnsysteme für Katastrophen oder Unwetter sowie Analysen von Smart-Home-Geräten im Bereich der Hausrat- und Gewerbeversicherungen.
Vertrauen durch die richtige Technologie
Um die riesigen Massen an gesammelten Daten effektiv auszuwerten und die richtigen Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen, sind Versicherer auf technologische Lösungen sowie Architekturen angewiesen, die ein Höchstmaß an Sicherheit und Vertrauen versprechen. Neben der Anonymisierung von persönlichen Daten kommt dabei insbesondere der Blockchain eine zentrale Rolle zu, mit der eine Unveränderbarkeit der erhobenen Informationen gewährleistet ist.
Hand in Hand mit dem Einsatz dieser Innovationen gehen neue und alte Regulierungen. Neben den lokalen Datenschutzgesetzen sind auch Regelwerke wie der Digital Operational Resilience Act (DORA) der Europäischen Union von großer Bedeutung, die sich verstärkt auf die Sicherheit von geschäftsrelevanten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) konzentrieren. Dabei geht es schließlich nicht zuletzt um das Vertrauen der Versicherten.
Der kulturelle Wandel
Die Erweiterung von Geschäftsmodellen mit einem Fokus auf die Schadenregulierung birgt neben der technischen Komponente aber auch noch weitere Veränderungen in der Art und Weise, wie Versicherungen in Zukunft arbeiten. Bestanden die Kontaktpunkte zu Versicherten in der Vergangenheit vor allem bei Schadensfällen oder Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit neuen oder zu verlängernden Policen, wird die Branche zukünftig sehr viel öfter direkt mit Kundinnen und Kunden kommunizieren.
Zum einen machen präventive Ansätze diese Entwicklung notwendig, da ein kontinuierlicher Austausch und Informationsfluss wichtige Grundlagen der noch jungen Geschäftsmodelle sind. Zum anderen besteht die große Herausforderung aber auch weiterhin darin, mit Aufklärungskampagnen das nötige Vertrauen zu schaffen. Wer seine persönlichen Daten zu Fahrstil oder Gesundheit mit seiner Versicherung teilt, muss sicher sein, dass die Informationen ausschließlich zweckbezogen verwendet werden und alle erforderlichen Maßnahmen für ein höchstmögliches Schutzniveau getroffen sind.
Kommunikation und ein maximales Schutzniveau sind dabei die Schlüssel. Versicherungen müssen sich als vertrauensvolle Partner positionieren, die mit wirklichem Mehrwert und Benefits überzeugen. Die dafür notwendigen Technologien und IT-Infrastrukturen stehen der Branche bereits zur Verfügung und können bei richtiger Umsetzung den Weg zu ganz individuell gestalteten neuen Konzepten von Versicherungsmodellen ebnen – aber eben auch nur dann.
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