Die Schadenabwicklung bleibt ein Brennpunkt der Versicherungswirtschaft – zwischen steigenden Erwartungen, wachsendem Kostendruck und den Herausforderungen neuer Technologien. Beim diesjährigen AssCompact Roundtable zur Schadenabwicklung trafen wieder Makler, Versicherer, Juristen und Schadenexperten aufeinander, um die aktuellen Entwicklungen kritisch zu beleuchten.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 02.10.2025
Im Mittelpunkt des AssCompact Roundtable zur Schadenabwicklung standen die Folgen von Inflation und Baukostensteigerungen, die zunehmende Komplexität durch Elektromobilität und Digitalisierung sowie der richtige Umgang mit Naturgefahren und Betriebsunterbrechungsschäden. Deutlich wurde: Effizienz und Fairness in der Schadenregulierung erfordern mehr denn je klare Kommunikation, realistische Versicherungssummen und ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten.
Mit juristischen Perspektiven auf die Schadenregulierung eröffnete Rechtsanwältin Mag. Dr. Isabel Pinegger nach den einleitenden Worten von AssCompact-Vertriebsleiter Ernst Vallant den Roundtable. Die auf Industrie- und Großschäden spezialisierte Anwältin aus Salzburg hob die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität hervor. „Der Anspruch ist aus jedem Blickwinkel hoch – beim Kunden, Makler, Anwalt und Versicherer. Am Ende geht es darum, ein Miteinander zu schaffen“, betonte sie.
In der Praxis sei das jedoch schwer umsetzbar. Kunden erwarteten meist sofortige und vollständige Lösungen, was in komplexen Fällen kaum möglich sei. „Ein Schadenfall ist selten eine Einzelbaustelle – rechtliche, technische und organisatorische Aspekte greifen ineinander“, erklärte Pinegger.
Als weitere Herausforderung nannte sie die wachsende Komplexität, verstärkt durch Bürokratie und Zeitdruck, sowie Reibungen zwischen Kunden, Versicherern, Maklern und Sachverständigen. Entscheidend sei, über den eigenen Tellerrand zu blicken, um Verständnis zu schaffen.
Trotz aller Schwierigkeiten plädierte sie für Kooperation: „Ziel muss es sein, den Schadenfall so zu erledigen, dass alle einigermaßen zufrieden auseinandergehen.“ Gerichtliche Auseinandersetzungen seien dabei oft unvermeidbar, sollten aber als Teil der Regulierung verstanden werden.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Diskussion zur Schadenabwicklung
Schadenregulierung ist für die Versicherungswirtschaft mehr als ein technischer Prozess – sie gilt als „Stunde der Wahrheit“. In der Diskussion mit Maklern, Versicherern, Rechtsanwälten und einem Schadensanierer wurde deutlich, wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Realität ist.
Einigkeit herrschte darüber, dass die Erwartungen hoch sind: Kunden wollen schnelle Entscheidungen, Makler einen reibungslosen Ablauf, Anwälte die Durchsetzung von Ansprüchen und Versicherer müssen wirtschaftliche wie rechtliche Aspekte wahren. „Schadenregulierung funktioniert nur miteinander – ohne das geht es nicht“, brachte es ein Teilnehmer auf den Punkt. Doch genau dieses Miteinander ist oft schwer herzustellen.
Kommunikation als Nadelöhr
Ein zentrales Problem ist die Erreichbarkeit. Während früher persönliche Kontakte zu Sachbearbeitern eine direkte Klärung ermöglichten, landen viele Anfragen heute in anonymen Service-Centern. Rückrufe bleiben aus, Entscheidungen ziehen sich, Akten kreisen im System. In der Diskussion wurde ein Beispiel ins Treffen geführt, wo es über „ungewollte Brieffreundschaften“, die über Monate geführt würden, ging. In dieser Zeit sei man dabei im Fall nie substanziell weitergekommen. Makler ergänzten, dass der Druck von Kunden steigt, wenn sie keinerlei Rückmeldung erhalten. Versicherungsvertreter verwiesen darauf, dass ein Großteil der Fälle reibungslos abgewickelt werde – doch die wenigen schwierigen Fälle prägen das Bild in der Öffentlichkeit.
Makler als Übersetzer und Erwartungsmanager
Deutlich wurde auch die Doppelrolle der Makler. Einerseits sind sie Interessenvertreter ihrer Kunden, andererseits müssen sie die Schadenmeldung so aufbereiten, dass der Versicherer damit arbeiten kann. „Wir müssen unsere Kunden viel stärker an die Hand nehmen“, hieß es in der Diskussion. Oft beginne das schon beim Ausfüllen einfacher Formulare. Viele Kunden könnten nicht einmal einen Kfz-Unfallbericht fehlerfrei ausfüllen. Kommen dann noch existenzbedrohende Szenarien wie Betriebsstillstände oder Produktrückrufe hinzu, schnellen die Erwartungen ins Unermessliche. Makler sind gefordert, diese Erwartungen zu dämpfen und gleichzeitig die notwendige Präzision in der Einmeldung zu gewährleisten.
Bürokratie und Zeitdruck
Auch kleinere Schadenfälle ziehen sich oft länger als notwendig, weil Unterlagen fehlen oder interne Abstimmungsprozesse Zeit fressen. Versicherer betonten, dass seit Corona viele Abläufe digitalisiert und beschleunigt wurden. Doch wo rechtliche Unklarheiten bestehen, braucht es weiterhin „Handarbeit“. Einigkeit herrschte darüber, dass Zeitdruck das größte Spannungsfeld ist: Kunden erwarten sofortige Erledigung, während Versicherer und Anwälte auf korrekte Abläufe und Dokumentation bestehen müssen.
Sachverständige zwischen Vertrauen und Kompetenzgrenzen
Heftig diskutiert wurde die Rolle der Sachverständigen. Einerseits genießen sie beim Kunden großes Vertrauen, weil sie die einzigen sind, die physisch vor Ort erscheinen. Andererseits überschreiten manche ihre Kompetenzen, indem sie rechtliche Bewertungen abgeben oder voreilige Aussagen über Deckungsfragen machen. „Sachverständige sollen Tatsachen feststellen, nicht Recht sprechen“, lautete eine klare Forderung. Gleichzeitig wurde betont, dass sie als Bindeglied unverzichtbar sind – und ihre Kommunikation wesentlich darüber entscheidet, wie der Kunde die Schadenabwicklung erlebt.
Kosten und Handwerkerpreise
Besonders kontrovers war die Frage der Kosten im Handwerksbereich. Mehrere Teilnehmer berichteten von überhöhten Rechnungen, sobald klar ist, dass eine Versicherung im Hintergrund steht. Ein Makler schilderte einen Fall, in dem ein Gutachter einen Totalschaden attestierte – die Vertragswerkstätte reparierte denselben Schaden problemlos und deutlich günstiger. Sanierer hielten dagegen, dass sie nach Partnerpreislisten arbeiten und regelmäßigen Prüfungen unterliegen. Trotzdem bleibt die Wahrnehmung bestehen, dass „mit der Versicherung mehr verlangt wird als mit dem Privatkunden“.
Versicherungsbetrug: kein Kavaliersdelikt
Immer wieder wurde auch das Thema Versicherungsbetrug angesprochen. Von fingierten Diebstählen über geschönte Schadenmeldungen bis hin zu mutmaßlich manipulierten Rechnungen reicht die Palette. „Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt“, betonte ein Diskutant. Kritisiert wurde allerdings, dass Versicherer in der Praxis zu selten konsequent dagegen vorgehen. Gleichzeitig verwies man auf die wachsende Gefahr durch KI: Schon heute könnten gefälschte Fotos oder perfekt formulierte, aber erfundene Schadenmeldungen erstellt werden. Die Branche müsse hier neue Prüfmechanismen entwickeln, um nicht von der Realität überrollt zu werden.
Neben den operativen Problemen kamen auch strukturelle Themen zur Sprache. Besonders die fehlende österreichweite Lösung für Naturkatastrophenschäden wie Hochwasser oder Überschwemmung wurde bemängelt. Welche Rolle darüber hinaus Selbstbehalte spielen, welche Chancen und Risiken die Digitalisierung in der Schadenabwicklung mit sich bringt und wie die Branche insgesamt zu mehr Fairness und Effizienz finden kann, lesen Sie in der November-Ausgabe von AssCompact.
Die Teilnehmer des AssCompact Roundtables „Schaden“
- Moderation: Franz Waghubinger, Herausgeber AssCompact
- Dr. Barbara Leithner, Geschäftsführerin BELFOR Austria
- Mag. Reinhard Seehofer, MBA Leiter Schadenabteilung der Generali
- Mag. iur. Peter Leistentritt,Teamleiter Schadenservice Elementar, Helvetia
- MMag.a Eva Michalek Leitung Spezialschaden, Wiener Städtische
- Elisabeth Bici, Geschäftsführende Gesellschafterin Bicik & Struggl
- RA Mag. Dr. Isabel Pinegge, selbstständige Rechtsanwältin
- Susanne Kondziolka-Bloc, Geschäftsführerin Friedrich W. Bloch GmbH
- KR Helmut Mojescick, Fachgruppenobmann der Wiener Versicherungsmakler
- KommR Wolfgang Wachschütz, Geschäftsführer Wolfgang Wachschütz KG, und Fachgruppenobmann der Versicherungsmakler Stmk.
- Peter Pfeiffer-Vogl, MLSProkurist Versmakler KG
- Balázs Rudolf, MA Geschäftsführer VoPeX Makler GmbH
AssCompact Schadensymposium 2025
Inhalte dieser Diskussion werden beim AssCompact Schadensymposium 2025 vertieft. Das AssCompact Schadensymposium findet am Donnerstag, 20. November 2025 in Wien/Vösendorf statt. Bei hochkarätigen Vorträgen von Branchenprofis können sich die Fachbesucher vertiefendes Wissen im Schadenbereich aneignen und gleichzeitig wertvolle UNABHÄNGIGE IDD Weiterbildungsstunden sammeln.
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