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Autonomes Fahren und Haftung: Wer zahlt bei einem Unfall?

(Bild: ©alphaspirit - stock.adobe.com)

Autonomes Fahren und Haftung: Wer zahlt bei einem Unfall?

01. Oktober 2025

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6 Min. Lesezeit

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Im Blickpunkt

Die Automobilindustrie befindet sich mitten in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Während Elektrifizierung und Software-Integration die Schlagzeilen dominieren, bahnt sich im Hintergrund eine ebenso weitreichende Veränderung an: die Verschiebung von Verantwortlichkeiten im Straßenverkehr. Mit jeder neuen Stufe des autonomen Fahrens wandert die Haftung schrittweise vom Fahrer zum Fahrzeug und damit letztlich zum Hersteller.

Artikel von:

Dr. Thomas Zwack

Dr. Thomas Zwack

Partner bei Advyce & Company

Die jüngste Ankündigung des chinesischen Marktführers BYD, bei hochautomatisierten Parkfunktionen (Level 4) sämtliche Schäden zu übernehmen, hat daher für große Aufmerksamkeit gesorgt. Das System God´s Eye von BYD verspricht, innovativste Automatisierungsfunktionen in die Serie zu bringen. Der Versicherungs-Coup lenkt nun weltweit Aufmerksamkeit auf den chinesischen Primus. Doch was bedeutet dieses Versprechen wirklich? Handelt es sich um eine rechtliche Neuerung, einen Marktvorteil – oder lediglich um eine geschickte Kommunikationsstrategie?

Versicherungsschutz: keine Revolution für Autofahrer

Für Autofahrer ändert sich auf den ersten Blick nichts. Schon heute gilt: Die Kfz-Haftpflichtversicherung deckt sämtliche Schäden gegenüber Dritten ab, unabhängig davon, ob das Fahrzeug manuell oder autonom bewegt wurde. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass ein Produktfehler vorlag, etwa ein Defekt in der Sensorik oder ein fehlerhafter Algorithmus, nimmt der Versicherer den Hersteller in Regress. Der Versicherungsnehmer selbst bekommt davon nichts mit und muss sich auch nicht darum kümmern.

Komplexer wird es, wenn lediglich Eigenschäden am Fahrzeug entstehen, etwa beim autonomen Parken entlang eines Pfostens. Hier greift die Kaskoversicherung. Fehlt diese, wäre theoretisch auch ein direkter Anspruch gegenüber dem Hersteller denkbar.

Das Fazit lautet: Für den Verbraucher entsteht aus der BYD-Ankündigung kein zusätzlicher Nutzen im bestehenden Versicherungsrahmen.

L4-Parkfunktionen: Technik zwischen Innovation und Reife

Die von BYD adressierte L4-Parkfunktion ist technologisch anspruchsvoll. Das Fahrzeug übernimmt den gesamten Parkvorgang selbstständig: Es erkennt Parklücken, analysiert die Umgebung mit Kamera-, Radar- und Lidarsensoren, manövriert in die Lücke und beendet das Manöver ohne Eingriff oder Überwachung durch den Menschen. Der Fahrer kann den Vorgang per App starten und das Fahrzeug agiert autonom.

Der wesentliche Unterschied zu heutigen Assistenzsystemen liegt darin, dass keine menschliche Kontrolle mehr erforderlich ist. Damit verschiebt sich das Haftungsgefüge: Fehler oder Unfälle sind unmittelbar auf das System zurückzuführen und nicht mehr auf eine falsche Reaktion des Fahrers.
Allerdings setzt ein solches System einen hohen technologischen Reifegrad voraus. Redundante Sensorik, kontinuierliche Datenfusion und belastbare Algorithmen sind zwingend notwendig, um ein akzeptables Sicherheitsniveau zu gewährleisten.

Produkthaftung: der bestehende Rechtsrahmen

Juristisch ist die Lage eindeutig. In Europa gilt seit Jahrzehnten die Produkthaftungsrichtlinie, in Deutschland umgesetzt durch das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG). Sie verpflichtet Hersteller, für Schäden einzustehen, die durch fehlerhafte Produkte verursacht werden, unabhängig davon, ob ein Verschulden vorliegt. Entscheidend ist allein, dass ein Fehler vorlag und dieser ursächlich für den Schaden war.

Mit der Einführung automatisierter Fahrfunktionen verschiebt sich der Fokus der Haftungsprüfung. Nicht mehr nur mechanische Defekte, sondern auch Software, Algorithmen, Datenqualität und Update-Prozesse stehen im Zentrum. Hersteller müssen dokumentieren, dass ihre Systeme dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Software-Versionen und Update-Strategien können im Streitfall zu haftungsrelevanten Faktoren werden.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Die von BYD formulierte Zusage stellt keine rechtliche Innovation, sondern eine kommunikative Akzentuierung dar. Das Unternehmen hebt hervor, wozu es ohnehin verpflichtet wäre.

Versicherer als unverzichtbare Schnittstelle

In Deutschland wird die Kfz-Versicherung noch sehr lange die erste Anlaufstelle für Fahrzeughalter bleiben. Der Grund ist pragmatisch: Kunden sind den bewährten Prozess gewohnt. Ein Anruf genügt und der Schaden wird zuverlässig reguliert. Für den Versicherungsnehmer ist es zweitrangig, ob im Hintergrund Hersteller oder Versicherer letztlich zahlen. Entscheidend ist die unkomplizierte Abwicklung.

Gleichzeitig könnten sich mittelfristig Kooperationsmodelle zwischen Herstellern und Versicherern entwickeln. Denkbar wäre eine Konstellation, bei der die rechtliche Verantwortung klar beim Hersteller liegt, die Abwicklung jedoch weiterhin über den Versicherer erfolgt. So ließe sich Effizienz mit Rechtssicherheit verbinden.

Kommunikationsstrategie statt Haftungsrevolution

Die BYD-Meldung sorgt für Schlagzeilen, doch ihr tatsächlicher Gehalt ist begrenzt. Rechtlich war der Hersteller ohnehin verpflichtet, für Schäden aus fehlerhaften Produkten einzustehen. Der Unterschied liegt vor allem in der Art der Kommunikation: BYD positioniert sich als Vorreiter in Sachen Verantwortung und Sicherheit. Ein starkes Signal an potenzielle Käufer, das Vertrauen schaffen soll.

Automatisierungs-Boost könnte Neuordnung im Markt anstoßen

Langfristig könnte die Branche aber vor einer Neuordnung stehen. Mit zunehmendem Automatisierungsgrad und wachsender Bedeutung von Software könnte sich die Rollenverteilung zwischen Herstellern und Versicherern grundlegend verschieben. Ob BYD mit seiner Initiative lediglich einen Kommunikationsimpuls setzt oder den Auftakt zu einem neuen Regulierungsmodell liefert, wird die Praxis zeigen.

Den gesamten Beitrag lesen Sie in der AssCompact Oktober-Ausgabe!

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