Ein Versicherungsnehmer wird als Beifahrer auf einem privaten Forstweg bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Er war nicht angegurtet und erlitt eine dauerhafte Invalidität von 100%. Die Unfallversicherung berief sich auf eine Obliegenheitsverletzung laut AUVB 2016 und verweigerte die Leistung. Strittig war, ob der fehlende Gurt kausal für die Verletzungen. Der Fall landete vor dem Obersten Gerichtshof. (7 Ob 27/25h)
Artikel von:

Dr. Roland Weinrauch
Gründer der Kanzlei Weinrauch Rechtsanwälte|https://weinrauch-rechtsanwaelte.at/
Zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer besteht ein Unfallversicherungsvertrag. Die der Polizze zugrundeliegenden Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUVB) 2016 lauten auszugsweise wie folgt:
„[...]
Artikel 21 – Was ist vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu beachten? Was ist nach Eintritt eines Versicherungsfalles zu tun?
Obliegenheiten
Als Obliegenheiten werden vereinbart:
1. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles:
[…]
1.3 Die versicherte Person hat bei Benützung eines Kraftfahrzeuges einen Sicherheitsgurt anzulegen, sofern dies für die Benützung dieses Kraftfahrzeuges gesetzlich vorgeschrieben ist; dies gilt auch dann, wenn das Kraftfahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr benützt wird. Bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtung werden sämtliche vereinbarten Versicherungsleistungen gemäß Abschnitt B im kausalen Ausmaß gekürzt, jedoch um mindestens 25%.
[…]
1.6 [...] Für den Fall, dass der Versicherungsnehmerin und Versicherungsnehmer eine dieser Obliegenheiten verletzt, wird Leistungsfreiheit vereinbart. Die Voraussetzungen und Begrenzungen der Leistungsfreiheit sind gesetzlich geregelt (siehe § 6 Abs. 1 VersVG im Anhang).“
Am 1. Mai 2020 erlitt der als Beifahrer nicht angegurtete Versicherungsnehmer bei einer Fahrt auf einem privaten, steil verlaufenden Holzbringungsweg einen schweren Verkehrsunfall. Aufgrund der Verletzungen wurde eine dauernde Invalidität von 100% festgestellt. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Versicherungsnehmer, wäre er ordnungsgemäß angegurtet gewesen, überhaupt Verletzungen erlitten hätte und ob und inwieweit aufgrund von verletzungsbedingten Dauerfolgen eine Dauerinvalidität aufgetreten wäre.
Der Versicherer lehnte eine Leistung mit der Begründung ab, dass der Versicherungsnehmer beim Unfall nicht angegurtet gewesen sei, er dadurch eine Obliegenheit verletzt habe und ihm der Kausalitätsgegenbeweis obliege, dass er bei Anlegen des Gurtes keine Verletzungen erlitten hätte. Der Fall landete schließlich vor dem Oberste Gerichtshof (OGH).
Wie ist die Rechtslage?
Der OGH führte in seiner Entscheidung vom 22.04.2025, Aktenzeichen: 7 Ob 27/25h, zunächst aus, dass Artikel 21.1.3 kein Risikoausschluss, sondern eine vorbeugende Obliegenheit im Sinne des § 6 VersVG ist, da diese Klausel ein konkretes, vorbeugendes Verhalten verlangt.
§ 6 Abs 2 VersVG gewähre dem Versicherungsnehmer bei Verletzung einer vorbeugenden Obliegenheit den Kausalitätsund Verschuldensgegenbeweis; erst wenn die Verletzung kausal war und schuldhaft begangen wurde, könne der Versicherer leistungsfrei sein oder kürzen.
Artikel 21.1.3 sehe jedoch eine „Mindestkürzung von 25%“ unabhängig von Kausalität oder Verschulden vor. Der OGH qualifiziert diese Klausel als unzulässig, weil sie die zwingende (§ 15a VersVG) Beweislastregel des § 6 Abs 2 VersVG unterläuft.
Der Satzteil „mindestens 25%“ könne auch nicht vom Rest abgespaltet und somit der Rest der Klausel als zulässig qualifiziert werden. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer bilde der Passus ein einheitliches Rechtsfolgensystem, das gerade den gesetzlichen Gegenbeweis beschneiden soll.
Der OGH kam daher zum Ergebnis, dass mangels Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit kein zulässiger Kürzungsgrund verbleibt und dem Versicherungsnehmer die volle Invaliditätsleistung von 300.000 Euro zusteht.
Schlussfolgerungen
Vertragliche Mindestkürzungen von Dauerinvaliditätsleistungen ohne Rücksicht auf Kausalität und Verschulden sind mit dem zwingenden Versicherungsvertragsrecht unvereinbar. Versicherer können daher den Kausalitätsgegenbeweis des § 6 Abs 2 VersVG nicht durch pauschale Abzüge aushöhlen. Jede Obliegenheitsregelung muss den zwingenden Vorgaben des § 6 VersVG berücksichtigen. Sofern daher eine Obliegenheitsverletzung sanktioniert wird, darf dies nur im kausalen Ausmaß geschehen. Pauschale Schwellenwerte oder Mindestkürzungen sind grundsätzlich unzulässig.
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