Die Gewerbe- und Industrieversicherung gilt als Rückgrat vieler Unternehmen, steht aber unter massivem Druck. Beim AssCompact Roundtable im Mediencenter Gasometer, veranstaltet in Kooperation mit dem VÖVM, diskutierten Makler, Versicherer, Assekuradeure und Underwriter über steigende Risiken, enge Kapazitäten und die Entwicklung einzelner Sparten.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 25.09.2025
Impulsreferat: Komplexität und Kapazitäten
Dr. Hans-Georg Jenssen, Rechtsanwalt und ehemaliger Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Versicherungsmakler, eröffentente den AssCompact Rounztable mit einem Impulsreferat und machte deutlich, dass die Risikolandschaft volatiler und komplexer geworden sei – getrieben durch ESG-Vorgaben, Naturkatastrophen, Cyberattacken und geopolitische Unsicherheiten. Besonders im Cyberbereich verschieben sich die Grenzen der Versicherbarkeit, staatlich gesteuerte Angriffe würden vielfach ausgeschlossen.
Auch Nachhaltigkeit spielt eine wachsende Rolle. Zwar seien Nachhaltigkeitsberichte mittlerweile verpflichtend, doch ihre Qualität reiche oft nicht aus, um eine verlässliche Grundlage für Underwriting-Entscheidungen zu schaffen. Naturkatastrophen wie das Ahrtal-Ereignis hätten zudem die Diskussion um Pflichtversicherungen neu entfacht.
Ein weiteres zentrales Problem sei die Kapazitätenkrise. Branchen wie Recycling, Holz oder Logistik hätten große Schwierigkeiten, überhaupt Deckung zu finden. Hauptursachen seien eine sinkende Risikobereitschaft der Versicherer und begrenzte Rückversicherungskapazitäten. „Alles ist versicherbar“ gelte heute nicht mehr, so Jenssen. Kooperation, Spezialisierung und Prävention seien die einzigen Wege, Risiken tragfähig zu halten.
Zudem verschärfe die demografische Entwicklung die Lage, da viele Fachkräfte in den Ruhestand gehen und Nachwuchs schwer zu finden sei. Als positives Beispiel nannte Jenssen Forschungsinitiativen wie jene der Funk-Stiftung. Sein Fazit: „Packen wir es an – nur durch Prävention, Kooperation und Innovationsbereitschaft lässt sich die Zukunftsfähigkeit sichern.“
AssCompact-Umfrage: Makler- und Versicherersicht
Im Anschluss stellte Herausgeber Franz Waghubinger die Ergebnisse zweier AssCompact-Umfragen vor. Fast 70% der Makler erklärten, dass bestimmte Branchen wie Holz, Recycling oder Cyber kaum mehr versicherbar sind. Über 60 % kritisierten den fehlenden direkten Draht zu Underwritern, Entscheidungen würden zunehmend anonymisiert. Dazu komme ein massiver Kostendruck: Viele Gewerbekunden reduzierten Verträge oder kündigten ganz.
Auf Versichererseite dominieren andere Sichtweisen. 100% der Befragten nannten Klimarisiken und Naturkatastrophen als größte Herausforderung, 75% stufen Cyber als „tickende Zeitbombe“ ein. Die Hälfte verwies zudem auf unzureichende Datentiefe bei der Risikoaufbereitung. Strengeres Underwriting, höhere Prämien und steigende Anforderungen an Risikominimierung seien die Konsequenz. Von Maklern erwarten die Gesellschaften vor allem bessere und vollständige Risikoaufbereitung, Verständnis für Underwriting-Vorgaben und eine aktivere Präventionsberatung.
„Makler empfinden den Markt als restriktiv und wenig zugänglich, während Versicherer die Makler oft als unpräzise in der Risikodarstellung wahrnehmen“, fasste Waghubinger zusammen. Damit war der Boden für die folgende Diskussion gelegt.
Diskussion: Herausforderungen und Perspektiven
Marktstimmung: Zwischen Entspannung und neuen Verhärtungen
„Gewerbe und Industrie brauchen heute mehr als nur eine Polizze. Sie brauchen starke Partner, die Versicherungsschutz ganzheitlich denken, mit Prävention, Reaktionen und echtem Verständnis für Risiko“, lautete ein Statement gleich zu Beginn. Schon früh fiel die zugespitzte Aussage: „Ein kleines Sägewerk ist heute kaum noch versicherbar – und das, obwohl gleichzeitig Zahnversicherungen für Säuglinge angeboten werden.“
Zur Marktlage wurden sehr unterschiedliche Einschätzungen geäußert. Während manche Beobachter eine Entspannung – insbesondere im Bereich Property – sehen, warnten andere vor einer zu schnellen Aufweichung, die alte Fehler wiederholen könnte. „Die harte Marktphase war notwendig, um Disziplin zurückzubringen. Jetzt dürfen wir nicht zurückfallen in Verträge ohne Selbstbehalte und ohne Risikoqualität“, hieß es.
In der Sachversicherung profitieren solide Risiken mit sauberem Risikomanagement und gutem Schadenverlauf teils von sinkenden Prämien. Branchen mit erhöhter Exponierung wie Holz, Recycling oder Chemie kämpfen dagegen weiterhin mit massiven Schwierigkeiten. Für manche Risiken sind kaum Anbieter zu finden, teils werden Kunden auf alternative Modelle verwiesen.
Haftpflicht und Financial Lines
Auch in der Haftpflichtversicherung zeigt sich ein differenziertes Bild. Während klassische Betriebshaftpflicht-Risiken meist ohne große Probleme platziert werden können, bleiben andere Sparten schwierig. „Man darf nicht alle Haftpflichtsparten in einen Topf werfen“, wurde mehrfach betont.
Besonders interessant war der Blick auf Financial Lines, vor allem bei D&O. Trotz der laufenden Insolvenzwelle bleibt der Markt weich. Mehrere Teilnehmer äußerten Zweifel, wie lange das noch anhalten könne.
Rückversicherung als Nadelöhr
Ein zentraler Punkt der Diskussion war die Rolle der Rückversicherung. Nach vergleichsweise glimpflichen Schadenjahren haben Rückversicherer zwar wieder mehr Spielraum, doch spürbare Preisnachlässe oder sinkende Selbstbehalte sind nicht in Sicht. „Wir erwarten keine Preisreduktionen. Aber wir hoffen auf mehr Kapazität“, brachte es ein Versicherungsvertreter auf den Punkt.
Die Erwartung: Wenn Rückversicherer wieder großzügiger Kapazitäten zur Verfügung stellen, können Erstversicherer mehr Risiken aufnehmen. Ob dies tatsächlich geschieht, ist offen. „Es gibt Signale, aber noch keine greifbaren Ergebnisse. Wir müssen die kommenden Gespräche abwarten“, hieß es.
Cyber, Bauwesen und Kfz: Sparten im Fokus
Im Cyberbereich herrscht nach zwei extrem harten Jahren wieder etwas Entspannung. Neue Anbieter sind eingetreten, Kapazitäten stehen wieder zur Verfügung. Gleichzeitig warnten Underwriter: „Wir dürfen nicht in die Falle laufen, zu schnell nachzugeben. Nur mit konsequentem Risk Engineering und Prävention lässt sich Cyber langfristig stabil versichern.“
In der Bauwesenversicherung berichteten Makler von überraschenden Entwicklungen. Während Großprojekte wie ein Pumpspeicherkraftwerk mit 400 Millionen Euro Versicherungssumme problemlos untergebracht werden konnten, scheiterten kleinere Bauvorhaben an Kapazitätsengpässen. „Es war grotesk: Ein hochkomplexes Kraftwerk funktionierte, ein normales Bürogebäude war kaum versicherbar“, schilderte ein Makler.
Auch im Kfz-Bereich zeigte sich nach Jahren der Härte wieder Entspannung. Werkstattkosten und Schadeninflation hatten die Combined Ratios nach oben getrieben. Nun profitiert Österreich im Vergleich zum deutschen Markt von stabileren Ergebnissen.
Lesen Sie morgen im zweiten Teil des Beitrages „Roundtable Gewerbe- und Industrieversicherung: Zwischen Verantwortung und Innovationsdruck“, welche Rolle Prävention und Risikoqualität für die Versicherbarkeit spielen, wie Makler ihre Aufgaben neu definieren und welche Lösungsansätze die Branche für die Zukunft diskutiert.
Den gesamten Beitrag zum AssCompact Roundtable „Gewerbe- und Industrieversicherung: Zwischen Verantwortung und Innovationsdruck“ lesen Sie in der AssCompact Oktober-Ausgabe.
Teilnehmer des Roundtables
- Daniel Berger (Vertriebsdirektor Deutschland und Österreich, Stoik GmbH)
- Eduard Billovits (Country Manager Austria & CEE, AXA XL)
- Josef Brindlinger, MLS (Geschäftsführender Gesellschafter Brindlinger Versicherungsmakler)
- Jens Fischer (Leitung Underwriting Gewerbe & Industrie, Allianz)
- ppa. Iva Herceg, LL.M. (WU) (Leitung Produktmanagement Individual, UNIQA – Corporate Business Österreich)
- Norbert Jagerhofer (Geschäftsführer und Gerichtssachverständiger, Norbert Jagerhofer GmbH)
- Dr. Hans-Georg Jenssen (Rechtsanwalt; ehem. geschäftsführender Vorstand BDVM)
- Mag. Dr. Klaus Koban, MBA (Geschäftsführender Gesellschafter Koban Südvers Group GmbH; VÖVM-Präsident, Moderation)
- Mag. Martin Moshammer (Leitung Niederlassung Österreich, ROLAND Rechtsschutz)
- Dipl. Bw Andreas Schmitt (Vorstand Ressort Risiko- und Versicherungstechnik, GrECo)
- Peter Tschemer (Leiter Rückversicherung und Underwriting Sach/Haft, Generali)
- Franz Waghubinger (Herausgeber AssCompact; Geschäftsführer UVK Versicherungsmakler)
zurück zur Übersicht
Beitrag speichern
sharing is caring
Das könnte Sie auch interessieren














