Dr. Hans Jörg Schelling, ehemaliger Finanzminister und Vortragender beim AssCompact Trendtag 2025, sieht Österreichs Versorgungssysteme an der Belastungsgrenze. Im Interview mit AssCompact erklärt er, warum echte Strukturreformen unausweichlich sind – und welche Rolle die Versicherungswirtschaft und Vermittler in einem zukunftsfähigen Sozialstaat spielen.

Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 01.09.2025
Immer höhere Ausgaben für Gesundheit, Pensionen und Pflege stehen einem stagnierenden Wirtschaftswachstum gegenüber. Gleichzeitig wächst der Reformstau: Zersplitterte Zuständigkeiten, intransparente Finanzierungswege und mangelnde Digitalisierung bremsen den Fortschritt. Vor diesem Hintergrund fordert Dr. Hans Jörg Schelling einen klaren Kurswechsel – und sieht neben der Politik auch die Gesellschaft und die Versicherungsbranche in der Pflicht.
„Die drei größten Budgetposten sind Gesundheit, Pensionen und Pflege. Zusammengenommen verschlingen sie den Großteil der Staatsausgaben – und die Dynamik ist steigend. Dem gegenüber steht ein stagnierendes Wirtschaftswachstum. Das ist ein gefährliches Ungleichgewicht“, warnt Schelling. Eine Fortsetzung des Systems ohne Kurskorrektur hält er für unrealistisch.
Komplexität im Gesundheitssystem als Reformbremse
Trotz hoher medizinischer Qualität sieht Schelling grundlegende strukturelle Probleme. „Wir geben jährlich rund 55 Milliarden Euro für Gesundheit aus. Finnland hat ein vergleichbar gutes System, aber um etwa 1.000 Euro pro Kopf geringere Ausgaben. Hauptproblem sind die zersplitterten Zuständigkeiten. Diese Komplexität lähmt jede Reformfähigkeit“, so Schelling.
Drei Maßnahmen hält er für vordringlich: „Kompetenzen bündeln, Finanzierung aus einem Topf und Digitalisierung. Der Verwaltungsaufwand ist enorm – hier braucht es Standards, Konsequenz und Investitionen.“
Pflege: Kapitalgedeckte Modelle als Ausweg
„Wir brauchen ein echtes Versicherungssystem für die Pflege – mit Beitragsleistung und Leistungsanspruch, ähnlich der Krankenversicherung“, fordert Schelling. Der bestehende Pflegefonds sei ein Notfalltopf, aber kein nachhaltiges System. Frühzeitige Beiträge über viele Jahre könnten die Finanzierung langfristig sichern.
Pensionssystem unter Reformdruck
Auch bei der Pension sieht Schelling dringenden Handlungsbedarf. „Wir müssen offen über eine zweite Säule reden – steuerbegünstigt, kapitalgedeckt und mit Anreizen. Der Staat könnte etwa über eine Garantie oder eine öffentlich-private Partnerschaft Vertrauen schaffen.“
Schon innerhalb des staatlichen Systems seien Anpassungen möglich. „Wenn man den Hundertsatz bei den Beiträgen um 0,5 Prozentpunkte reduziert – aber nie unter die Inflation –, ergeben sich durch den Zinseszinseffekt enorme Ersparnisse über Jahrzehnte.“
„Wer handelt, gewinnt Vertrauen“
Reformpolitik müsse sich nicht vor dem Wähler fürchten, ist Schelling überzeugt. „Ich habe das erlebt, als wir die Krankenkassen saniert haben. Von 1,2 Mrd. Euro Defizit auf null in fünf Jahren – das wurde honoriert. Das zeigt: Man kann auch mit Reformen Vertrauen gewinnen.“
Verantwortung nicht nur beim Staat
Schelling betont die Rolle der Eigenverantwortung. „Der Sozialstaat hat vielen Menschen das Gefühl gegeben, sie müssen sich um nichts kümmern – der Staat macht das schon. Das ist ein Irrtum. Gesundheit beginnt mit Prävention, Pension mit Vorsorge, Pflege mit Planung.“
Die Zahl der gesunden Jahre sei in Österreich trotz gutem Gesundheitssystem unter dem EU-Schnitt. „Das liegt an Lebensstil, Haltung und fehlender Gesundheitsbildung. Da müssen wir hin – und das geht nicht nur mit TV-Spots, sondern mit Projekten vor Ort.“
Vermittler als Schlüsselakteure im neuen Vorsorgemodell
„Die Menschen haben keine Angst vor Renditeverlust, sondern vor Kapitalverlust“, sagt Schelling. Vermittler müssten daher Sicherheit als zentrales Verkaufsargument begreifen – und Produkte klar und verständlich erklären. Die Rolle der Branche sei entscheidend.
„Die Vermittler sind zentrale Multiplikatoren. Sie kennen die Menschen, sie kennen die Ängste, sie haben Vertrauen. Wenn wir diese Stärke in den Dienst eines modernen Vorsorgedreiecks stellen – Gesundheit, Pension, Pflege – dann haben wir eine echte Chance auf einen neuen Gesellschaftsvertrag. Aber nur, wenn wir jetzt anfangen.“
Dr. Hans Jörg Schelling beim AssCompact Trendtag 2025

Dr. Hans Jörg Schelling
Am 9. Oktober 2025 spricht Dr. Hans Jörg Schelling beim AssCompact Trendtag im Eventhotel Pyramide Wien/Vösendorf über „Sozialstaat am Wendepunkt: Welche Reformen jetzt unausweichlich sind“. In seinem Vortrag zeigt er auf, warum das aktuelle System staatlicher Versorgung in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Pension langfristig nicht mehr finanzierbar ist – und welche strukturellen Maßnahmen notwendig wären, um es zukunftsfähig zu machen.
Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung nach klaren Reformen: eine einheitliche Finanzierung im Gesundheitswesen, ein echtes Versicherungssystem für die Pflege sowie der Ausbau kapitalgedeckter Vorsorgemodelle in der Pension. Schelling spricht dabei nicht nur über politische Rahmenbedingungen, sondern betont auch die Verantwortung jedes Einzelnen – und die zentrale Rolle der Versicherungswirtschaft.
Für Vermittler ist der Vortrag besonders relevant: Er zeigt auf, wie private Vorsorge künftig eine tragende Säule des Sozialstaats werden kann – und warum gerade die Vermittler diejenigen sind, die Vertrauen schaffen, Ängste erkennen und konkrete Lösungen vermitteln können. Schelling liefert Argumente, Impulse und Klartext – für eine Zukunft, in der Eigenverantwortung und Absicherung Hand in Hand gehen.
Jetzt für den AssCompact Trendtag 2025 anmelden!

Der AssCompact Trendtag 2025 findet am Donnerstag, 9. Oktober 2025 im Eventhotel Pyramide Wien/Vösendorf statt und gilt als einer der wichtigsten Branchentreffs für die Versicherungs- und Finanzwirtschaft in Österreich. Auf dem Programm stehen hochkarätige Keynotes, drei Fachkongresse, zahlreiche Produkt- und Serviceneuheiten sowie ein umfangreicher Messebereich mit rund 80 Ausstellern.
Die Veranstaltung bietet eine gute Gelegenheit zur fachlichen Weiterbildung, zum persönlichen Austausch und zur Orientierung in einem sich wandelnden Marktumfeld.
Die Teilnahme ist für Vermittler mit aufrechter Gewerbeberechtigung sowie für Mitarbeiter der ausstellenden Gesellschaften kostenfrei.
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