Naturkatastrophen werden häufiger und teurer – doch die Versicherungslücke wächst. Dr. Thomas Hlatky, Head of Reinsurance GRAWE Group, Leiter Sustainability Insurance Europe, und Keynote-Vortragender beim AssCompact Schadensymposium 2025, warnt vor den Folgen und zeigt Wege, wie Prävention, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Branche verändern.
Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 17.11.2025
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Naturkatastrophen nehmen zu, die versicherten Schäden halten jedoch nicht Schritt. „Rund 350 weltweit als Katastrophen klassifizierte Naturereignisse pro Jahr, 300 bis 350 Mrd. US-Dollar an Schäden – und versichert ist davon nur ein schwaches Drittel“, erklärt Dr. Thomas Hlatky. „Der sogenannte Protection Gap – also die Deckungslücke – wird substanziell größer. Nicht, weil weniger Menschen versichert wären, sondern weil Anzahl und Dimension der Schäden massiv steigen. Das ist mit Sicherheit die größte Herausforderung für uns alle in der Versicherungswirtschaft – egal auf welcher Seite wir arbeiten.“
Für Hlatky ist klar: Vermittlerinnen und Vermittler haben eine Schlüsselfunktion – aber noch nicht die passenden Werkzeuge. „Vermittler müssen zum Kunden gehen und Problemlösungen anbieten – haben dafür aber derzeit nur ein begrenztes Werkzeug. Speziell in Österreich bekommen Privatkunden oft diese obligatorischen ‚Putzlappendeckungen‘ mit 5.000 oder 10.000 Euro – gegen mal mehr, mal weniger Prämie. Im Gewerbe und in der Industrie sind mit hohen Selbstbehalten größere Summen versicherbar. Was aber fehlt, ist das Instrument, das Sie aus anderen Sparten kennen: eine Vollwert-Neuwertversicherung. Die gibt es so nicht.“
Vorhandene Lösungen seien oft teuer, komplex und mit Rückkürzungsklauseln versehen – also in der Praxis wenig attraktiv. Nach großen Ereignissen steige die Nachfrage sprunghaft, „doch zu vernünftigen Preisen kann man diese Deckungen derzeit kaum anbieten“, so Hlatky.
Digitale Werkzeuge als Chance
In Sachen Risikowahrnehmung und Prävention sieht der Experte Österreich auf einem guten Weg: „Wir bauen auf enormes Know-how der öffentlichen Hand – denken Sie an Lawinen- und Wildbachverbauungen. Zusätzlich haben wir seit 2007 HORA, unser Naturgefahren-Tool. Damit lässt sich punktgenau – heute hochauflösend, teils in 3D – die Verletzbarkeit von Gebäuden gemeinsam mit dem Kunden besprechen. Besonders im Gewerbe- und Industriebereich können Präventionsmaßnahmen definiert, ‚durchsimuliert‘ und ihre Wirkung unmittelbar gezeigt werden.“
Ein besonderer Fokus liegt für Hlatky auf dem Einsatz Künstlicher Intelligenz. „Im Kfz-Bereich etwa: Ein beschädigtes Fahrzeug wird gescannt, Bild-KI bewertet den Blechschaden, die Summe wird errechnet – ohne menschlichen Zugriff. In der Schweiz gibt es bereits Hagelscanner: Das Auto wird wie Gepäck am Flughafen ‚durchgeschoben‘, der Rechner ermittelt den Betrag, und bei Zustimmung wird sofort überwiesen – alles KI-gestützt.“
Auch im Gebäudebereich erwartet Hlatky große Fortschritte: „Man erfasst jedes Dach vor einem Ereignis hochauflösend; nach einem Hagelereignis wird erneut erfasst, die KI vergleicht und erkennt, wie viel Prozent der Dachstruktur beschädigt sind. Perfekt wird das nicht sofort sein – Sachverständige bleiben bei Großschäden unverzichtbar. Aber bei vielen Kleinschäden beschleunigt KI die Erhebung massiv.“
Vollversicherung: politischer Rahmen statt technischer Hürde
Trotz bestehender Modelle stagniert die Umsetzung einer flächendeckenden Vollversicherung für Naturkatastrophen. „Es liegt nicht am ‚Nicht-Wollen‘ der Versicherer, sondern am aufsichtsrechtlichen Rahmen“, betont Hlatky. „Eine flächendeckende Vollversicherung für Erdbeben und sämtliche Hochwasser für den gesamten Bestand würde die Kapitalanforderungen der Branche deutlich übersteigen – die Aufsicht würde zu Recht eingreifen. Lösungen kennen wir allerdings seit 15, eher 20 Jahren: Vollversicherungskonzepte sind ausgearbeitet, zuletzt aktualisiert – sie liegen der Politik vor.“
Hlatky verweist auf europäische Nachbarn, die zeigen, dass politische Entschlossenheit der entscheidende Faktor ist. „Italien führt gerade eine Pflichtlösung für Flut und Erdbeben ein – einfach konstruiert mit SACE als staatlichem Rückversicherer und staatlichem Backup bis zu 5 Milliarden Euro. Deutschland arbeitet intensiv an einer Pflichtlösung, ausgelöst durch das Ahrtal-Ereignis. Rund um uns passiert viel – bei uns gibt es wenig, aber nicht keine Bewegung auf öffentlicher Seite.“
Thomas Hlatky beim AssCompact Schadensymposium 2025

Dr. Thomas Hlatky, Head of Reinsurance GRAWE Group, Leiter Sustainability Insurance Europe
Dr. Thomas Hlatky spricht beim AssCompact Schadensymposium am 20. November in der Pyramide Wien/Vösendorf zum Thema „Die Zukunft der Schadenabwicklung nach Naturkatastrophen – KI, Digitalisierung, Prävention und neue Versicherungslösungen in Österreich und der EU“.
In seinem Vortrag zeigt er, wie Technologie, Prävention und neue Versicherungslösungen ineinandergreifen und welche Rolle Vermittlerinnen und Vermittler dabei künftig übernehmen. Ein Schwerpunkt liegt auf digitalen Anwendungen wie 3D-Applikationen im HORA-System sowie auf der KI-gestützten Schadenabwicklung, insbesondere bei Hagelereignissen. Auch das österreichische Vollversicherungsmodell und Beispiele aus anderen europäischen Ländern wie Italien und Deutschland werden vorgestellt.
Hlatky macht deutlich, dass Vermittlerinnen und Vermittler künftig stärker als ganzheitliche Risikoberater gefragt sind. Sie sollten Kundinnen und Kunden nicht nur im Schadensfall unterstützen, sondern sie umfassend begleiten – von der Risikominimierung bis zur Absicherung. „Vermittler müssen das gesamte Spektrum kommunizieren – Prävention, Intervention und Versicherung“, betont er. So könne die Branche neue Chancen für besseren Service und mehr Sicherheit im Schadenfall nutzen.
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AssCompact Schadensymposium 2025 - Jetzt anmelden und IDD sichern!

Am 20. November 2025 steht in der Pyramide Wien/Vösendorf wieder alles im Zeichen des Schadenmanagements. Unter dem Motto „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Wege zur fairen und effizienten Schadenabwicklung“ erwartet Vermittler:innen ein Tag voller praxisnaher Fachimpulse, aktueller Themen und insgesamt fünf unabhängiger IDD-Weiterbildungsstunden.
📅 Datum: Donnerstag, 20. November 2025
📍 Ort: Eventhotel Pyramide, Parkallee 2, 2334 Vösendorf
🕗 Zeit: 08:00–16:30 Uhr
🎓 IDD-Weiterbildung: 5 Stunden (Module 1 und 2)
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