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OGH entschied über Ausnahmesituationsklausel iZm COVID-19

OGH entschied über Ausnahmesituationsklausel iZm COVID-19

28. Mai 2021

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8 Min. Lesezeit

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News-Im Blickpunkt

Erstmalig urteilte der OGH über die Ausnahmesituationsklausel in der Rechtsschutzversicherung im Zusammenhang mit COVID-19 (7 Ob 42/21h, versdb 2021, 31). Dabei ging es um eine Deckungsstreitigkeit des VN gegen den Betriebsunterbrechungsversicherer. Die Entscheidung lässt aber noch einige Fragen offen.

Mag. Peter Kalab

Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 5/28/2021

Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau ordnete mit Verordnung vom 13. 3. 2020 (betreffend Schließung des Seilbahnbetriebs und von Beherbergungsbetrieben zur Eindämmung der Ausbreitung von „SARS-CoV-2“), Zahl 30405–508/3618/137–2020, an, dass der Betrieb von Seilbahnen iSd § 2 Abs 1 SeilbahnG 2003 gemäß § 26 Epidemiegesetz (EpiG) 1950 eingestellt und Beherbergungsbetriebe iSd § 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994 gemäß § 20 Abs 1 und 4 EpiG 1950 und der VO BGBl II 2020/74 geschlossen werden. Diese Verordnung trat mit der Kundmachung in jeder Gemeinde des Bezirks St. Johann im Pongau, Beherbergungsbetriebe betreffend frühestens am 16. 3. 2020, 20:00 Uhr, in Kraft. Die Verordnung wurde mit der weiteren Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 28. 3. 2020 zur Zahl 30405–508/3618/310–2020 aufgehoben. Das mit 16. 3. 2020 in Kraft getretene Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz; BGBl I 2020/12) ermöglichte dann behördliche Anordnungen, mit denen das Betreten von (bestimmten) Betriebsstätten oder das Betreten von bestimmten Orten verboten werden konnte.

Was ist passiert?

Die Klägerin betreibt ein Hotel in Obertauern. Aufgrund der behördlich angeordneten „Betriebsschließungen“ war der Beherbergungsbetrieb der Klägerin vom 16. 3. 2020 bis zum Saisonende (19. 4. 2020) geschlossen. Die Klägerin begehrte von der Beklagten (Rechtsschutzversicherer) Rechtsschutzdeckung für ein gegen ihren Betriebsunterbrechungsversicherer anzustrengendes Verfahren, in dem die Klägerin Verdienstentgang wegen der aufgrund von COVID-19 erlassenen Betretungsverbote bzw Betriebsschließungen anstrebt.

Die ARB enthielten folgenden Risikoausschluss:

„Artikel 7
Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
[...]
1.4. in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind;
[...]“

Der Versicherer wandte aufgrund dieser „Ausnahmesituationsklausel“ Leistungsfreiheit ein.

Urteil des OGH

Der OGH kam nach der Auflistung zahlreicher – durchaus unterschiedlicher – Rechtsmeinungen in der Literatur zu folgendem Ergebnis:

Soweit zunächst als erste Annäherung zur Eingrenzung des Begriffsmerkmals „unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang“ eine (reine) Kausalverknüpfung im Sinn der conditio sine qua non zu fordern ist, liegt diese zweifellos vor. Die behördlichen Betretungsverbote waren nach der eigenen Darstellung der Klägerin der Grund für die Schließung ihres Betriebs.

Für den weiteren Auslegungsvorgang ist der Ausschlusszweck zu erwägen. Der Risikoausschlusses des Art 7.1.4 ARB 2006 lässt nicht allein den Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen genügen, sondern verlangt zusätzlich, dass diese aufgrund einer Ausnahmesituation erfolgen und sich überdies an eine Personenmehrheit richten. Dadurch wird klar, dass damit besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risken ausgeschlossen werden sollen, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert.

Dazu kommt, dass der hier fragliche Risikoausschluss – im Unterschied zu jenem, den die vom OGH zitierten Literaturstimmen ansprechen – den notwendigen „Zusammenhang“ nicht undifferenziert verwendet, sondern ausdrücklich auch einen „mittelbaren“ Zusammenhang genügen lässt, was ohnehin für ein tendenziell weiteres Auslegungsverständnis spricht. Berücksichtigt man deshalb letztlich noch, dass eine zentrale Maßnahme zur Bekämpfung der Ausnahmesituation (Pandemie) in der möglichst umfassenden Kontaktvermeidung besteht, dann wird damit vollends deutlich, dass die weitgehenden Betriebsschließungen im touristischen Bereich die geradezu typische Folgewirkung der behördlichen Betretungsverbote darstellen und sich diese als ein von den Gebietskörperschaften bewusst eingesetztes, zentrales Mittel der Pandemiebekämpfung darstellen. Ein jedenfalls „mittelbarer“ Zusammenhang zwischen der angestrebten Rechtsverfolgung gegenüber dem Betriebsunterbrechungsversicherer und jenen behördlichen Anordnungen, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie an die Allgemeinheit gerichtete, ein bezirks- bzw landesweites Betretungsverbot für Beherbergungsbetriebe anordnen, kann bei dieser Sachlage nicht ernstlich bezweifelt werden. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Risikoausschlusses des Art 7.1.4 ARB 2006 liegen daher vor.

Der Risikoausschluss des Art 7.1.4 ARB 2006 ist nach Ansicht des OGH auch nicht gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB.

Anmerkung:

Möglicherweise werden Rechtsschutz-Deckungsfragen in diesem Zusammenhang anders beurteilt, wenn die Bedingungen nicht die Formulierung „mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang“ verwenden. Es gibt in ARB auch anderslautende Formulierungen der Ausnahmesituationsklausel, die von einem „ursächlichen Zusammenhang“ sprechen. Ob die Entscheidung dann anders ausfallen würde, bleibt offen. ME würde die Entscheidung auch in diesem Fall gleich ausfallen, weil die Zielrichtung des Ausschlusses klar ist. Der Aspekt ist bei Rechtsschutzfällen iZm mit Covid-19 Fällen aber jedenfalls zu berücksichtigen.

Im vom OGH entschiedenen Fall war der Kläger Unternehmer. Ist der VN Verbraucher, kann dieser möglicherweise einwenden, dass die Ausnahmesituationsklausel intransparent (iSd § 6 Abs 3 KSchG) ist. In diesem Fall dürfte die Ausnahmesituationsklausel nicht angewendet werden. Dies hat jüngst das HG Wien ausgesprochen: So sei etwa unklar, was unter einer „hoheitlichen Anordnung“ zu verstehen ist und ob darunter nur Gesetze oder auch sonstige Akte der Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Vollziehung und auch jene eines anderen Staates fallen. Diese Unklarheit werde nicht dadurch beseitigt, dass es sich nach dem Wortlaut der Klausel um eine „Anordnung“ handeln muss, die sich an eine nicht näher spezifizierte „Personenmehrheit“ richte. Es bleibe nämlich offen, ob hier mehrere Personen konkret oder abstrakt betroffen sein müssen und ob darunter etwa auch Individualakte fallen, die jedoch gleichlautend in großer Zahl erlassen werden. Auch der in der Klausel verwendeten Begriff „Ausnahmesituation“ sei unbestimmt, weil es an jeglicher Definition einer „Regelsituation“ und der davon erforderlichen qualitativen und/oder quantitativen Abweichungen fehle.

Autor: Ewald Maitz, MLS (Foto) – www.knowhow-versicherung.at
versdb – Datenbank: www.versdb.at
versdb – Zeitschrift: www.versdb.at/print

Titelbild: © lev dolgachov – stock.adobe.com

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