Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher bewertet das Gesundheitssystem positiv. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse des aktuellen Allianz Gesundheitsbarometers strukturelle Defizite: Frauen fühlen sich seltener ernst genommen, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Forschung und Behandlung sind wenig bekannt – und lösen dennoch große Besorgnis aus.

Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 15.05.2025
68% der Befragten bewerten die österreichische Gesundheitsversorgung positiv. Besonders hohes Vertrauen besteht in die eigene behandelnde Ärztin oder den eigenen Arzt (77%), in Ärztinnen und Ärzte allgemein (66%) sowie in die medizinische Forschung (65%). Die fachliche Kompetenz wird mit 77% am besten bewertet, gefolgt von der Verständlichkeit ärztlicher Erklärungen (59%) und der sozialen Kompetenz (54%).
Frauen schätzen die Versorgung deutlich kritischer ein als Männer: Während 73% der Männer Bestnoten vergeben, tun dies nur 64% der Frauen. Auch das Einfühlungsvermögen wird von 47% der Frauen positiv bewertet, bei den Männern sind es 61%.
Gender Health Gap: Geringe Bekanntheit, hohe Beunruhigung
Der Begriff „Gender Health Gap“ ist wenig verbreitet. 28% der Frauen und 17% der Männer haben bereits davon gehört. In der Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen sind es 34%, bei den 20- bis 29-Jährigen 29%. Gleichzeitig sorgt das Thema für Verunsicherung: 48% der Gesamtbevölkerung zeigen sich beunruhigt, unter den Frauen sind es 57%, unter den Männern 39%. Besonders groß ist die Besorgnis bei jungen Menschen: 58% der 14- bis 19-Jährigen und 54% der 20- bis 29-Jährigen empfinden die Problematik als ernst.
Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der MedUni Wien:
"Medizinische Studien waren lange Zeit vor allem auf männliche Probanden ausgerichtet und sie wurden als Maßstab für die Behandlung aller herangezogen. Vielen ist nicht bewusst, dass diese Einseitigkeit bis heute nachwirkt. Dabei unterscheiden sich Männer und Frauen in Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieansprechen – und das wird in der medizinischen Praxis noch immer zu wenig berücksichtigt. Die Folge sind Fehldiagnosen, unzureichende Therapien und ein struktureller Gender Health Gap. Gendermedizin ist deshalb kein Spezialthema, sondern Voraussetzung für eine gerechtere und bessere Versorgung aller Menschen."
Persönliche Erfahrungen: Frauen berichten häufiger von Problemen
71% der Frauen geben an, bereits unzufriedenstellende Erfahrungen mit Ärztinnen oder Ärzten gemacht zu haben, bei den Männern sind es 55%. Häufige Kritikpunkte sind unsensibles Verhalten (52% der Frauen gegenüber 40% der Männer) sowie die Verharmlosung von Beschwerden (47% gegenüber 40%). 16% der Frauen berichten, dass ihr Geschlecht die Behandlung negativ beeinflusst habe – bei den Männern betrifft das 10%. Jüngere Altersgruppen sind besonders häufig betroffen: 27% der 14- bis 19-Jährigen und 24% der 20- bis 29-Jährigen äußerten entsprechende Erfahrungen. Bei den 60- bis 69-Jährigen lag der Wert bei 5%.
Zeitmangel und private Alternativen
51% der Befragten kritisieren lange Wartezeiten auf Arzttermine, 25% empfinden die Gesprächsdauer als zu kurz. 63% der Bevölkerung nutzen Wahlärztinnen und -ärzte, bei den Frauen sind es 67%, bei den Männern 59%.
Jovana Nović, COO der Allianz Österreich:
"Gesundheit ist unser kostbarstes Gut – es ist daher mehr als verständlich, dass den Menschen rasche Termine, eine gründliche Untersuchung und ein echtes Eingehen auf individuelle Bedürfnisse wichtig sind. Wahlärzt:innen können hier mehr Flexibilität und Zeit bieten und sind eine sinnvolle Ergänzung zur Kassenmedizin."
Forderung nach geschlechtersensibler Medizin
71% der Befragten wünschen sich eine stärker auf das Geschlecht abgestimmte medizinische Versorgung. Unter den Frauen sind es 74%, unter den Männern 68%. Als besonders wichtige Maßnahmen gelten die gleichberechtigte Einbeziehung in medizinischen Studien (59%), eine Sensibilisierung medizinischen Personals (50%) und mehr Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden (50%).
Methodik
Das Allianz Gesundheitsbarometer 2025 wurde von Marketagent im Zeitraum vom 10. bis 17. März 2025 mittels Online-Befragung (CAWI) erhoben. Befragt wurden 1.000 Personen im Alter von 14 bis 75 Jahren, repräsentativ quotiert nach Alter, Geschlecht, Region und Ausbildung. Die Umfrage umfasste 31 Fragen zu Wahrnehmung, Nutzung und Bewertung medizinischer Leistungen sowie zu Gendermedizin.
Foto oben v.l.n.r: Jovana Nović, COO der Allianz Österreich, und Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der MedUni Wien
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