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Versicherung bleibt ein Stabilitätsanker – aber die Herausforderungen nehmen zu

(Bild: © AssCompact)

Versicherung bleibt ein Stabilitätsanker – aber die Herausforderungen nehmen zu

11. Juni 2025

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8 Min. Lesezeit

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Im Blickpunkt

Dr. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung, über die wirtschaftliche Lage, wachsende regulatorische Anforderungen, die Rolle der Versicherungswirtschaft bei Naturkatastrophen – und warum der Vermittlermarkt Zukunft hat.

Kerstin Quirchtmayr

Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 11.06.2025

Krisenjahre, Inflation und Naturkatastrophen haben die Versicherungswirtschaft zuletzt stark gefordert. „Die Inflationswelle, die 2021 begann, hat sowohl auf der Prämien- als auch auf der Leistungsseite deutliche Spuren hinterlassen. 2023 war besonders spürbar – mit Nachholeffekten in der Prämienentwicklung, insbesondere in der Schaden- und Unfallversicherung sowie der Krankenversicherung", erklärt Dr. Ralph Müller. Gleichzeitig sei der Druck auf die technischen Ergebnisse durch Naturkatastrophen weiter gestiegen.

2024 erwartet er ein weiterhin stabiles, aber verhaltenes wirtschaftliches Umfeld. Die Branche, so Müller, werde weiterhin auf Profitabilität achten müssen: „Die Branche muss auf gesunde technische Ergebnisse und strikte Kostendisziplin setzen – besonders in der Schadenversicherung. Allein 2024 wurden Leistungen in Höhe von 18,7 Mrd. Euro erbracht – über zehn Millionen Schaden- und Leistungsfälle. Das zeigt, wie leistungsfähig unsere Branche ist.“

Trends in den Sparten und Potenziale der Lebensversicherung

In der Schaden-Unfallversicherung ortet Müller 2024 einen deutlichen Wachstumsnachholeffekt – auch bei der Wiener Städtischen. Besonders stark sei die Nachfrage in der Krankenversicherung: „In der Krankenversicherung beobachten wir weiterhin eine sehr hohe Kundennachfrage. Das ist bemerkenswert, weil hier Kundinnen und Kunden von sich aus aktiv werden – ungewöhnlich für unsere Branche. Die Krankenversicherung war in den letzten Jahren ein verlässlicher Wachstumsträger, und das setzt sich fort.“

Auch in der Lebensversicherung sieht Müller positive Signale. Der Rückgang der letzten Jahre könnte sich allmählich umkehren. „Das Vertrauen in das staatliche Pensionssystem ist gering, ernsthafte Reformen bleiben aus, das System ist teuer. Die Lebensversicherung hat in den letzten 15 Jahren stark an Prämienvolumen verloren, doch wir sehen Potenzial für eine Trendumkehr. Uns ist es bereits seit drei Jahren gelungen, über dem Markt zu wachsen.“

Dabei geht der Trend aus seiner Sicht klar in Richtung fondsgebundener Produkte: „Sie ist aktuell die einzige Produktform, mit der man langfristig die Inflation ausgleichen kann. Gerade bei jüngeren Kundinnen und Kunden mit längerer Laufzeit bietet sie die Chance, über Zinseffekte reale Wertsteigerungen zu erzielen.“

Naturkatastrophen und Klimafolgen

Das vergangene Jahr habe laut Müller erneut die Bedeutung der Versicherungswirtschaft bei Extremwetterereignissen unter Beweis gestellt. Über eine Milliarde Euro an versicherten Schäden seien abgegolten worden – ein klarer Beleg dafür, dass Versicherer eine wichtige Rolle in der Bewältigung solcher Ereignisse spielen. Gleichzeitig betont Müller die Grenzen dessen, was Versicherung leisten kann: „Natürlich lassen sich bei flächendeckenden Ereignissen nicht alle Schäden vollständig abdecken – das ist versicherungstechnisch nicht darstellbar.“

Umso wichtiger sei es daher, der Prävention mehr Raum zu geben. Müller spricht sich dafür aus, bestehende staatliche Maßnahmen aufrechtzuerhalten: „Die Mittel aus dem Katastrophenfonds müssen weiterhin gezielt eingesetzt werden – etwa im Hochwasserschutz.“ Auch private Vorsorge sieht er als entscheidend: „Individuelle Maßnahmen wie das Abdichten von Kellerfenstern gehören dazu. Und: Man sollte nicht in hochwassergefährdeten Gebieten bauen. Ergänzend braucht es freiwillige Höherversicherungen.“

Kapazitätsengpässe und Risikobepreisung

Auch in der Industrieversicherung spitzt sich die Situation zu. Steigende Versicherungssummen und begrenzte Rückversicherungskapazitäten stellen viele Anbieter vor große Herausforderungen. „Die versicherten Summen sind stark gestiegen. In der Folge werden Verträge zunehmend an höhere Selbstbehalte und Limitierungen bei Großschäden geknüpft. Rückversicherungskapazitäten sind teurer und schwerer zu organisieren.“

Gleichzeitig betont Müller die zunehmende Bedeutung wirtschaftlicher Kriterien: „Wenn die Profitabilität nicht gegeben ist, folgt zwangsläufig ein Rückzug aus bestimmten Bereichen. Einige Versicherer setzen heute klare Prioritäten: Ein tragfähiges technisches Ergebnis ist wichtiger als reines Prämienwachstum.“

Eine generelle Absage an komplexe Risiken hält er jedoch für falsch: „Versicherungsschutz bleibt möglich – aber es ist zunehmend eine Frage der risikoadäquaten Bepreisung. Mit geeigneten technischen Vorkehrungen und angemessener Prämienkalkulation lassen sich auch anspruchsvolle Risiken weiterhin absichern.“

Partnervertrieb und hybride Zusammenarbeit

Ein zentraler Erfolgsfaktor der Wiener Städtischen ist für Müller seit jeher der Partnervertrieb. „Unsere Vertriebspartner sind seit vielen Jahren ein zentraler Pfeiler unseres Erfolgs – und das wird auch in Zukunft so bleiben“, so Müller. Regionalität, persönliche Ansprechpartner und verlässliche Betreuung seien hier ebenso wichtig wie digitale Lösungen.

„Im Antrags- und Schadenprozess setzen wir auf Digitalisierung und hybride Zusammenarbeit – mit leistungsfähigen Schnittstellen und modernen Tools“, erklärt Müller. Neben der technischen Ausstattung sei aber das persönliche Miteinander ausschlaggebend: „Ein Klima der Wertschätzung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist uns als Unternehmen und mir als Vorstand ein echtes Anliegen.“

Pensionssystem und politische Verantwortung

In der Debatte um die Zukunft des staatlichen Pensionssystems fordert Müller eine Reform: „Ein Viertel der Staatseinnahmen für Pensionen auszugeben, ohne Kapitalmarktbeiträge einzubeziehen, ist nicht nachhaltig. Eine maßvolle Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters, differenzierte Inflationsanpassungen – und vor allem eine Integration von Kapitaldeckung. Das wäre nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch sozial gerecht.“

Blick nach vorne: Wachstum, Vorsorge, Vermittler

Trotz aller Herausforderungen blickt Müller optimistisch nach vorne. „Die Versicherungswirtschaft zählt zu den stabilsten und erfolgreichsten Branchen überhaupt – das zeigen auch langfristige Entwicklungen an den Börsen.“

Altersvorsorge und Krankenversicherung werden an Bedeutung gewinnen, Digitalisierung und Automatisierung eröffnen zusätzliche Chancen. Auch der Vermittlermarkt sei auf einem guten Weg, meint Müller: „Die Tätigkeit bietet hohe Eigenverantwortung, unternehmerische Freiheit und ein gestärktes Image.“

Voraussetzung sei allerdings, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen vereinfacht werden: „Wir müssen Prozesse wieder praxistauglicher gestalten. Dann bleibt der Beruf hochattraktiv. Wir schätzen alle unsere Partner – ob Einzelmakler oder große Vereinigungen – und gehen davon aus, dass sich der Markt weiterhin dynamisch entwickeln wird.“

Das gesamte Interview lesen Sie in der AssCompact Juni-Ausgabe!

Foto oben: Dr. Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung

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