Beim Podium „KI – Chancen, Grenzen und Regulierung“ diskutierten vier Top-Manager unter der Moderation von Ex-OeNB-Chefökonomin Birgit Niessner bei der TOGETHER CCA „Innovation Night 2025 “ am Erste Campus Wien, wohin sich Künstliche Intelligenz in der Versicherungsbranche entwickelt – und was das gesellschaftlich bedeutet.
Redakteur/in: Andreas Richter - Veröffentlicht am 28.11.2025
Als Birgit Niessner, viele Jahre Chefökonomin der Oesterreichischen Nationalbank, das Panel eröffnete, setzte sie gleich ein markantes Statement: „Wir wissen noch nicht, was KI makroökonomisch wirklich auslösen wird – aber wir wissen, dass es enorm groß sein kann.“ Zwischen „just another technology“ und möglichem Produktivitäts-Perpetuum-mobile spannte sich an diesem Abend der Rahmen – und genau dazwischen positionierten sich die vier Vorstände auf der Bühne.
Automatisierung mit Augenmaß
Für Sonja Brandtmayer, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen, bleibt KI vor allem eines: ein Instrument. „KI soll Menschen unterstützen, nicht ersetzen“, lautet ihr Mantra. Sie warnt davor, die Technologie als Allheilmittel zu sehen. Entscheidend seien Business Cases und IT-Kosten: Nicht jede Anwendung rechtfertige den Aufwand. Brandtmayer schildert, wie ihr Haus in den letzten Jahren massiv in Automatisierung investiert hat – von Robotik über Bots bis KI. In der Schadenbearbeitung helfe KI etwa beim Routing und bei Zusammenfassungen umfangreicher Gutachten. Revolutionen erwartet sie aber nicht: Vielmehr gehe es darum, „die richtige Automatisierung für den richtigen Fall“ zu wählen.
Allianz: Von der Dunkelverarbeitung zur agentischen KI
René Brandstötter, CSO der Allianz Österreich, knüpft an Brandtmayers Realismus an, setzt aber einen anderen Akzent: Skalierung. Die Allianz nutze KI-Lösungen konzernweit und kopiere erfolgreiche Assets in andere Länder, statt alles lokal neu zu bauen. Damit entstehe erstmals ein echter, grenzüberschreitender Business Case. Besonders viel erwartet Brandstötter von „agentischer AI“ – agentenbasierter KI, die Prozesse zwischen Makler und Versicherer verbinden soll: „Bisher haben wir versucht, Makler in unsere Abläufe hineinzuziehen. Künftig können wir Prozesswelten von Maklern und Versicherern hybrid zusammenführen und trotzdem automatisieren.“ Das Ziel: höhere Effizienz auf beiden Seiten, ohne den Partner in starre Systeme zu pressen.
Gleichzeitig kritisiert er die europäische Mentalität: „Die Amerikaner und Chinesen sind uns beim Thema Mut weit voraus. Wir diskutieren, bilden Lenkungskreise – und wenn wir fertig sind, ist die Technologie anderswo schon wieder alt.“ Wenn Europa den Anschluss halten wolle, brauche es vor allem eines: mehr Umsetzung, weniger Zögern.
VAV: KI als Gamechanger für unstrukturierte Massen
Sven Rabe, Vorstandsvorsitzender der VAV, schilderte den Automatisierungsdruck aus einer anderen Perspektive. Hohe Stückzahlen bei begrenzten Ressourcen hätten die VAV schon früh zu Dunkelverarbeitung gezwungen. In der Kfz-Kasko sei die Automatisierung mittlerweile so weit, dass die Schadenabteilung in diesem Bereich aufgelöst werden konnte. Der eigentliche „Gamechanger“ sei für ihn aber die KI-gestützte Verarbeitung unstrukturierter Daten: „Hunderttausende E-Mails landen in den Service-Postfächern – von Kunden, Maklern, Werkstätten. KI hilft uns, diese Flut zu klassifizieren, zu verstehen, was der Absender will, und in bestehende Prozesse zu übergeben.“ Genau hier entstehe der größte Effizienzgewinn.
Beim Thema Regulierung sieht Rabe vor allem ein Mindset-Problem: Governance-Abteilungen und Juristen hätten zurecht Bedenken, gleichzeitig fehle es an klaren Leitplanken. „Wir hätten die Ideen und den Mut – was fehlt, ist Rechtssicherheit. Wenn klar ist, wo die Grenze verläuft, ist es viel leichter, diese Projekte auch wirklich umzusetzen.“
UNIQA: Zwischen Produktivitätsversprechen und Regulierungsrealität
Christian Gosch, Head of Group Data & IT bei UNIQA, beschreibt KI als Langstreckenthema: „Der Einfluss von KI auf unser Arbeitsleben ist kurzfristig überschätzt und langfristig unterschätzt.“ Mitarbeitende müssten keine Angst vor KI haben, wohl aber vor Kolleginnen und Kollegen, die besser damit umgehen können. Beim EU-AI-Act zeigt er sich ambivalent. Als EU-Bürger begrüße er Ziele wie das Verbot biometrischer Massenüberwachung oder Social Scoring. Für europäische Versicherer seien die Regelungen aber ein massiver Aufwand – mit Strafdrohungen in dreistelliger Millionenhöhe, obwohl die eigentlichen Adressaten eher globale Tech-Konzerne seien. Die Branche werde damit zum „Beifang“ der Regulierung. UNIQA setze KI derzeit bewusst vor allem assistierend ein; eigenständige, komplexe Deckungsentscheidungen durch KI seien kein Thema.
Gesellschaftlicher Impact: Produktivitätsbooster oder Spaltpilz?
Im letzten Panelteil bat Niessner die Vorstände um je ein positives und ein „apokalyptisches“ Szenario. Rabe verwies auf Studien, die durch KI zwar messbare, aber moderat steigende gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwächse erwarten – und sieht den Hauptnutzen in der Entlastung von Routinetätigkeiten: mehr Zeit für Beratung, Brainwork und Kundennähe. Brandtmayer warnte vor ethischen und medizinischen Verzerrungen, wenn Modelle auf zu homogenen Daten trainiert werden – etwa nur auf bestimmten Bevölkerungsgruppen. Das könne nicht nur Bewerbungsprozesse, sondern auch Gesundheitsanwendungen massiv verzerren.
Brandstötter wiederum blickte nach vorne: Er glaubt an zahlreiche neue Jobprofile rund um KI und Daten, vorausgesetzt, die Branche investiert konsequent und baut Vertrauen auf. In einer idealen Langfristperspektive könne eine deutlich höhere Produktivität sogar Spielraum für kürzere Arbeitszeiten eröffnen. Voraussetzung sei allerdings, dass Unternehmen und Politik den Mut hätten, diese Entwicklung aktiv zu gestalten.
Niessner zog den volkswirtschaftlichen Schluss: Österreich und Deutschland bräuchten dringend einen Produktivitätsbooster – KI könne einer davon sein, wenn sie nicht im Event- und Pilotstadium steckenbleibe, sondern in der Breite der Unternehmen ankomme.

Innovation Night 2025: Magie mit KI – und 25 Jahre TOGETHER CCA
Eingerahmt war die Diskussion in ein dichtes Programm der „Innovation Night 2025 – Magie mit KI 2.0“, zu der sich am Erste Campus Wien rund 400 Besucherinnen und Besucher aus Versicherungswirtschaft, IT und Beratung einfanden. Gastgeber TOGETHER CCA nutzte den Abend zugleich, um das 25-Jahr-Jubiläum zu feiern.
Nach Sektempfang und Infopoints führten Keynotes von Gerhard Schuster und Christian Gosch in die strategischen und technologischen Dimensionen von KI ein. Julia Pleyer und Christian Haas präsentierten konkrete Produkthighlights und Use Cases aus der Praxis, bevor das Vorstandspanel den Blick auf Chancen, Grenzen und Regulierung richtete.
Im Anschluss stand Networking auf dem Programm – ergänzt um Infopoints zu neuen Services wie einem KI-Chatbot für Maklerwebsites. Den Abschluss bildeten die Verlosung der Charity-Tombola und die „BOAbot Digital Challenge“. Der Charity-Gedanke zog sich wie ein roter Faden durch den Abend: Der gesamte Erlös der Tombola kommt der aktion leben oberösterreich zugute. Mit jeder Spende unterstützen die Gäste schwangere Frauen in Notlagen – etwa durch Beratung, Sachleistungen und finanzielle Überbrückungshilfen. Gerhard Schuster und Julia Pleyer konnten Ingrid Koller, Geschäftsführerin der aktion leben oberösterreich, einen Scheck in Höhe von 3.000 Euro überreichen.
Foto oben v.l.n.r.: René Brandstötter, CSO der Allianz Österreich, Sonja Brandtmayer, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen, Birgit Niessner, Ex-OeNB-Chefökonomin, Christian Gosch, Head of Group Data & IT bei UNIQA, und Sven Rabe, Vorstandsvorsitzender der VAV
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