In vielen Versicherungsunternehmen fällt es Führungskräften schwer, Verantwortung abzugeben – häufig mit negativen Folgen für Teamdynamik und Effizienz. Hartwig Görtler zeigt, wie durch gezieltes Delegieren, Vertrauen und klare Kompetenzverteilung eine moderne Führungskultur entstehen kann, die nachhaltigen Unternehmenserfolg ermöglicht.
Artikel von:

Hartwig Görtler
Executive Interim Manager, spezialisiert auf Turnaround, Restrukturierung und Wachstum im Mittelstand
„Wenn ich es nicht selbst mache, wird es nicht richtig erledigt!“ – Dieser Satz ist vielen Führungskräften in Maklerunternehmen und Versicherungsgesellschaften bestens vertraut. Gerade in einem Umfeld, in dem jedes Detail über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, fällt es oft schwer, Aufgaben vertrauensvoll an Mitarbeitende zu übertragen. Führungskräfte neigen dazu, Verantwortung nur dann abzugeben, wenn die Hierarchie oder Gehaltsstufe es ihrer Meinung nach erlaubt. Doch genau das blockiert die Entwicklung von Teams und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit.
Wirkungsvolle Führung basiert nicht auf Kontrolle, sondern auf Vertrauen. Wer seinen Mitarbeitenden vertraut, befähigt sie, Verantwortung zu übernehmen und eigenständig Lösungen zu entwickeln – unabhängig davon, ob sie auf der Gehaltsskala ganz oben oder deutlich weiter unten stehen. Das Problem: Viele Führungskräfte haben zwar diesen Gedanken verinnerlicht, tun sich aber in der Praxis schwer, tatsächlich loszulassen.
Warum fällt das Delegieren so schwer?
In Maklerbetrieben und Versicherungsunternehmen herrscht oft hoher Wettbewerbsdruck. Hier zählt Präzision, schnelle Entscheidungsfähigkeit und umfassendes Branchenwissen. Fehler können teuer werden – sowohl finanziell als auch in Bezug auf die Reputation. Diese Tatsache führt dazu, dass Führungskräfte Aufgaben häufig selbst erledigen oder zumindest eng überwachen wollen. Dahinter steckt der Irrglaube, dass nur sie selbst in der Lage sind, fehlerfreie Resultate zu erzielen. Besonders erfahrene Führungskräfte glauben oft, dass ihre Kompetenz unerlässlich ist, und unterschätzen dabei das Potenzial ihrer Mitarbeitenden massiv.
Typische Fehler im Umgang mit Verantwortung
Ein zentraler Fehler ist die Annahme, Verantwortung könne nur dort liegen, wo auch das höchste Gehalt gezahlt wird. Führungskräfte neigen dadurch dazu, komplexe Aufgaben oder kritische Entscheidungen zurückzuhalten, obwohl Mitarbeitende möglicherweise über bessere Kenntnisse verfügen, um diese effizient zu lösen. Das Ergebnis ist, dass Mitarbeitende ihre Potenziale nicht entfalten können und Führungskräfte zunehmend überlastet sind.
Ein weiterer Fehler liegt darin, Verantwortung nur scheinbar zu übertragen. Häufig werden Aufgaben delegiert, aber nicht die dazugehörige Entscheidungsfreiheit. Mitarbeitende spüren dann schnell, dass sie letztlich doch keine wirkliche Verantwortung tragen, sondern lediglich ausführend tätig sind. Daraus folgt Frustration, sinkende Motivation und letztlich eine geringere Bindung ans Unternehmen.
Vertrauen als Schlüssel zu echter Führung
Die Grundlage echter, wirkungsvoller Führung ist Vertrauen. Führungskräfte müssen lernen, Mitarbeitenden echten Handlungsspielraum zu gewähren und Fehler nicht grundsätzlich als Scheitern, sondern als Lernprozess zu betrachten. Wenn Mitarbeitende erleben, dass ihre Kompetenz anerkannt wird und sie tatsächlich Verantwortung übernehmen dürfen, steigt ihre Motivation spürbar.
Vertrauen bedeutet auch, dass Führungskräfte akzeptieren, dass Lösungen anders aussehen können, als sie sie selbst gewählt hätten. Solange das Ergebnis stimmt, sollte es nicht entscheidend sein, auf welchem Weg es erreicht wurde. Wer diese Art des Vertrauens authentisch vorlebt, stärkt langfristig den Zusammenhalt und fördert eine Unternehmenskultur, in der sich alle Mitarbeitenden mit ihren Kompetenzen einbringen.
Wie gelingt eine neue Kultur des Loslassens?
Die Etablierung einer neuen Führungskultur beginnt damit, Kompetenzen klar zu definieren und dann aktiv Verantwortung an die richtigen Personen zu übertragen. Dabei ist es wichtig, nicht allein nach der Position im Unternehmen oder dem Gehaltsniveau zu entscheiden, sondern gezielt nach individuellen Stärken, Talenten und Erfahrungswerten.
Mitarbeitende sollten ermutigt werden, Entscheidungen eigenständig zu treffen und dabei Rückendeckung von Führungskräften zu erhalten, auch wenn einmal etwas nicht wie geplant funktioniert. Denn eine positive Fehlerkultur ist entscheidend für die Entwicklung einer starken, eigenverantwortlichen Mannschaft. Führungskräfte profitieren langfristig davon, wenn ihre Teams eigenständig agieren und nur bei Bedarf Rücksprache halten – statt jeden Schritt detailliert vorgegeben zu bekommen.
Fazit: Wer loslassen kann, führt erfolgreich
Führungskräfte tun gut daran, Verantwortung nicht allein an Gehaltsstufen oder Hierarchien festzumachen. Wer seinen Mitarbeitenden vertraut und Aufgaben wirklich überträgt – statt sie bloß abzugeben – schafft langfristig ein Umfeld, in dem Kompetenz gefördert und eingesetzt wird, wo sie tatsächlich existiert. Gehalt ist wichtig, doch wahre Verantwortung lässt sich weder kaufen noch erzwingen.
Langfristig profitieren Unternehmen davon, wenn ihre Mitarbeitenden echte Verantwortung tragen dürfen. Wer loslässt, gibt seinem Team die Chance zu wachsen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und letztlich bessere Leistungen zu erzielen. Genau darin zeigt sich echte Führungskompetenz: Nicht in der Kontrolle über jede einzelne Tätigkeit, sondern in der Fähigkeit, andere dazu zu befähigen, selbst Verantwortung zu übernehmen – unabhängig davon, auf welcher Gehaltsstufe sie stehen. Denn erfolgreiche Führung erkennt man nicht daran, wie viele Entscheidungen Führungskräfte selbst treffen, sondern daran, wie viele Entscheidungen ihre Mitarbeitenden eigenständig und kompetent treffen können.
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