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Rechtsschutzversicherung: Freie Wahl des Rechtsvertreters für nicht ortsansässige Anwälte?

(Bild: ©thodonal - stock.adobe.com)

Rechtsschutzversicherung: Freie Wahl des Rechtsvertreters für nicht ortsansässige Anwälte?

13. Dezember 2022

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7 Min. Lesezeit

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Im Blickpunkt

Kurz-Analyse der OGH-Entscheidung 7 Ob 169/22m unter Einbeziehung diverser Vorjudikate: In dem vom VKI angestrengten Verbandsverfahren OGH 7 Ob 169/22m wurde u.a. erneut die Frage der freien Wahl des Rechtsvertreters für nicht ortsansässige Anwälte thematisiert. Den Hintergrund dieser Fragestellung bildet einerseits das auf der unionsrechtlichen Rechtsschutz-Richtlinie basierende freie Wahlrecht des Rechtsvertreters durch den VN und andererseits die Tatsache, dass nicht ortsansässige (sog. sprengelfremde) Rechtsanwälte i.d.R. höhere Kosten verrechnen (dürfen) als ortsansässige Rechtsvertreter.

Artikel von:

Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA

Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA

Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Lektor an der Donau Uni Krems, WU-Wien und Juridicum Wien

Rechtsvertreter, die ihren Kanzleisitz nicht am Ort des Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens haben, verrechnen oftmals höhere Kosten als ortsansässige Anwälte … und dies durchaus zu Recht, denn diese sog. Sprengelfremdheit ermöglicht es Anwälten z.B., nach dem Rechtsanwaltstarif (RATG) den doppelten Einheitssatz zu verlangen. Für den Rechtsschutz-VR bedeutet dies eine höhere Kostenbelastung, wodurch das Interesse des VR daran steigt, die freie Anwaltswahl örtlich zu begrenzen und/oder die Kostenübernahme anderweitig zu limitieren.

Unter Zugrundelegung der EuGH-Entscheidung RS C-199/08 betreffend die Einschränkung des Rechts auf freie Anwaltswahl in Gerichts- und Verwaltungsverfahren hat der OGH zur GZ 7 Ob 194/09v bereits vor über 10 Jahren zusammengefasst judiziert, dass ein VN auch einen nicht ortsansässigen Rechtsvertreter wählen könne, jedenfalls wenn dieser verbindlich erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Vertreter zu verrechnen; damit bliebe nämlich der Sinn und Zweck dieser Klausel (und zwar deren kosteneinsparende und prämiensenkende Wirkung) gewahrt. In weiteren Entscheidungen, z.B. OGH 7 Ob 181/21z, wurde diese Vorjudikatur inhaltlich bestätigt.

Aktuelle Entscheidung mit Verweis auf Vorjudikatur: Klausel unvollständig und intransparent

Im aktuellen Verbandsverfahren zu 7 Ob 169/22m hatte sich der OGH mit folgender Klausel zu beschäftigen: „Das Wahlrecht […] bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichtes oder dieser Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solche Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.“ Die Klausel schräkt im Wesentlichen das Anwaltswahlrecht somit auf ortsansässige Rechtsvertreter ein.

Die wortgleiche Klausel war bereits Gegenstand der OGH-Entscheidung im Verbandsverfahren 7 Ob 156/20x, sodass das Höchstgericht die damals getroffenen Aussagen bloß zu wiederholen brauchte: Eine Klausel in Rechtsschutzversicherungsbedingungen, wonach das freie Anwaltswahlrecht auf Personen eingeschränkt wird, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde haben, ist unvollständig und intransparent, selbst wenn sie sich am Gesetzestext orientiert. Sie lässt nämlich die (im Sinne der Rspr. des EuGH) erforderliche Information weg, dass bei richtlinienkonformer Auslegung unter bestimmten Voraussetzungen ein nicht ortsansässiger Rechtsanwalt gewählt werden kann. Das ist dann der Fall, wenn sich der nicht ortsansässige Rechtsvertreter dazu bereit erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Vertreter zu verrechnen, weil damit der Sinn und Zweck der Klausel (kostensparende und prämiensenkende Wirkung) gewahrt bleibt. Die Klausel verletzt also das Transparenzgebot, weil in ihr diese wesentliche Information weggelassen wird und deren Fehlen geeignet ist, beim Adressaten/Konsumenten eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten.

Ist also die vom VKI gerügte Klausel nicht mehr „state oft the art“?

Die erwähnten Entscheidungen EuGH Rs C-199/09und OGH 7 Ob 194/09v haben u.a. dazu geführt, dass die unverbindlichen Muster-ARB bereits vor längerer Zeit neu gefasst worden sind: Nach Art 6.1. Satz 2 (Muster-)ARB 2015 wird die Kostenübernahme grundsätzlich auf die Loco-Tarifkosten beschränkt (d.h. Nebenleistungen des Rechtsanwaltes werden max. in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes eines am Ort des/der in 1. Instanz zuständigen Gerichtes/Verwaltungsbehörde ansässigen Rechtsanwaltes übernommen). Haben jedoch am Ort dieses Gerichtes bzw. dieser Verwaltungsbehörde nicht mindestens X (Anm.: in der Praxis zumeist vier) Rechtsanwälte ihren Kanzleisitz, übernimmt der Versicherer auch die tariflich vorgesehenen Mehrkosten aus der Sprengelfremdheit.

Die vom VKI im aktuellen Verfahren 7 Ob 169/22m gerügte Klausel entsprach inhaltlich nicht der Regelung der Muster-ARB 2015, sondern war ident mit der „Alt-Klausel“ der OGH-Entscheidung 7 Ob 194/09v. Ausgehend davon, dass diese Klausel zwischenzeitig in zwei Verbandsverfahren vom OGH als intransparent tituliert worden ist, besteht hier – soweit dies in der Praxis noch nicht geschehen ist - wohl durchaus Adaptierungsbedarf.

Was bedeutet dies für die Praxis?

1. „Alt-Klausel“ (= Klauseltext wie in OGH 7 Ob 194/09v, OGH 7 Ob 156/20x und OGH 7 Ob 169/22m):

  • Die Klausel ist laut OGH intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG. Auch wenn die Verbandsklage nur unmittelbare Wirkung auf den betroffenen Versicherer und die von ihm verwendeten ARB hat, werden sich die Gerichte auch bei anderen Versicherern an dieser Entscheidung orientieren müssen. Insofern kommt dem Urteil – jedenfalls indirekt – grundlegende Bedeutung zu.
  • Ist der VN Unternehmer, ist die Klausel von der Intransparenz nicht erfasst. Diesfalls wird man i.S.d. (Vor-)Judikatur sagen können, dass der VN auch einen nicht ortsansässigen Rechtsvertreter wählen wird können, jedenfalls wenn dieser verbindlich erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Vertreter zu verrechnen.

2. Klausel „neu“ (= Art 6.1. Satz 2 Muster-ARB 2015):

  • Zu dieser Klausel liegt bis dato keine Judikatur des OGH vor. Dem Klauseltext zufolge ist die Höhe der vom Versicherer zu übernehmenden Kosten davon abhängig, wie viele Rechtsvertreter (wohl zur Zeit der Beauftragung) am Ort des/der in 1. Instanz zuständigen Gerichtes/Verwaltungsbehörde ihren Kanzleisitz haben. Es kommt also auf die konkrete „Anwaltsdichte“ an. Wird die in der Klausel angegebene Zahl nicht erreicht, dann (und nur dann) übernimmt der Versicherer (auch) die tariflich vorgesehenen Mehrkosten aus der Sprengelfremdheit.
  • Ob diese neue Klausel einer künftigen Transparenzprüfung durch den OGH standhalten wird, bleibt abzuwarten …

Von Prof. Mag. Erwin Gisch

Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA, ist Rechtsschutz-Spezialist (ehemaliger Bereichsleiter für Versicherungstechnik und -Recht und vormaliger Rechtsschutz-Schadenleiter), Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Universitäts-Lektor an der Donau Uni Krems, der WU-Wien und am Juridicum in Wien.

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