Die Frage nach dem Versicherungsschutz bei COVID-19-„bedingten“ Rechtsschutz-Schadenfällen hat den OGH wie auch die Wissenschaft in den letzten Jahren vielfach beschäftigt. Rechtliche Auseinandersetzungen wegen Betriebsunterbrechungen, Reisestorni, Mietzinsminderung und dgl. infolge der Pandemie und die Frage, ob man als VN dafür die Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen könne, standen (und stehen offenbar nach wie vor) an der Tagesordnung. Nun sorgt der OGH mit einem aktuellen Urteil (Verbandsverfahren 7 Ob 169/22m) für weitgehende Klarheit.
Artikel von:
Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA
Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Lektor an der Donau Uni Krems, WU-Wien und Juridicum Wien
Risikoausschluss in Zusammenhang mit „hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind“
Die sog. Ausnahmesituationsklausel beschreibt in der Rechtsschutzversicherung einen allgemeinen Risikoausschluss, wonach (im Sinne der Muster-Klausel des VVO) kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen „in ursächlichem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind …“ besteht. Die im gegenständlichen Verfahren vom VKI mittels Verbandsklage gerügte Klausel lautet geringfügig anders, beschreibt den Einleitungssatz nämlich „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang“.
Der OGH hatte sich bereits in der Entscheidung 7 Ob 42/21h mit dem identischen Risikoausschluss im Zusammenhang mit behördlichen Anordnungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beschäftigt und dazu festgehalten, dass Verordnungen, die „verkehrsbeschränkende“ Maßnahmen anordneten, und die sich nicht gegen ein einzelnes Unternehmen gerichtet und nicht eine individuelle Betriebsschließung angeordnet hätten, sondern sich – bezirks- oder landesweit – grundsätzlich an die gesamte Bevölkerung richteten, als „hoheitsrechtliche Anordnungen“, die an eine Personenmehrheit gerichtet waren, anzusehen sind. Die COVID-19-Pandemie – so der OGH damals weiter - sei als „Ausnahmesituation“ zu qualifizieren. Der Risikoausschluss lasse nicht allein den Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen genügen, sondern verlange zusätzlich, dass diese aufgrund einer Ausnahmesituation erfolgen und sich überdies an eine Personenmehrheit richten. Dadurch wird klar, dass damit besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risiken ausgeschlossen werden sollen, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert.
Ausnahmesituationsklausel nicht gröblich benachteiligend
Der OGH hat in der Entscheidung 7 Ob 42/21h die Ausnahmesituationsklausel im Prozess zwischen zwei Unternehmern als nicht gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB angesehen. Zum einen bestünde keine einschlägige dispositive Regelung, an der man sich im fraglichen Zusammenhang orientieren könnte. Zum anderen bezwecke der Ausschluss, keine Deckung für besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risiken zu gewähren, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das überdies behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert. Ein so gestalteter Ausschluss entspräche auch den Interessen der Versicherungsnehmer nach zuverlässiger Tarifkalkulation.
Begriffe „hoheitsrechtliche Anordnungen“, „Personenmehrheit“ und „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang“ nicht intransparent
Im nunmehrigen Verbandsverfahren 7 Ob 169/22m stellte der OGH zunächst fest, dass die Begriffe „hoheitsrechtliche Anordnungen“, „Personenmehrheit“ und „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang“ nicht intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG sind. „Hoheitsrechtliche Anordnungen an eine „Personenmehrheit“ liegen nach dem OGH dann vor, wenn ein mit Hoheitsbefugnissen ausgestatteter Rechtsträger zur Erreichung seiner Ziele die ihm aufgrund seiner spezifischen Macht gegebene einseitige Anordnungsbefugnis gebraucht, demnach als Träger dieser besonderen Befehls- und Zwangsgewalt auftritt und sich diese Anordnung „an eine Personenmehrheit“ richtet, damit an mehr als eine Person als Adressaten. Darunter fallen auch Bescheide. Für einen „unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang“ mit einer „hoheitsrechtlichen Anordnung“ ist zunächst eine (reine) Kausalverknüpfung im Sinn der conditio sine qua non erforderlich (so bereits OGH 7 Ob 42/21h). Zudem muss das rechtliche Interesse des Versicherungsnehmers in einem – adäquaten – Zusammenhang mit einer aufgrund einer „Ausnahmesituation“ an eine Personenmehrheit gerichteten hoheitsrechtlichen Anordnung stehen. Der Risikoausschluss kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn sich die typische Risikoerhöhung, die zur Aufnahme gerade dieses Ausschlusses geführt hat, verwirklicht. Es bedarf – wie im Schadenersatzrecht zur Haftungsbegründung – eines adäquaten Zusammenhangs zwischen dem Rechtsstreit und der „hoheitsrechtlichen Anordnung“. Entgegen dem Argument des Klägers sind diese Begriffe nicht „zu schwammig“, sondern weisen auch für einen Verbraucher klare Konturen auf.
Begriffe „Ausnahmesituation“ ist jedoch intransparent … somit ist die Ausnahmesituationsklausel intransparent
Unklar und daher intransparent i.S.d. § 6 Abs 3 KSchG ist für den OGH jedoch der Begriff „Ausnahmesituation“. Als „Ausnahmesituation“ werde – so der OGH in seiner Begründung und unter Bezugnahme auf die Definition laut Duden -nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine „außergewöhnliche, unübliche, eine Ausnahmesituation darstellende Situation“ verstanden. Nach der Intention der Klausel erfasse der Ausschluss sogenannte Kumulrisiken. Zwar könne zum Begriff „Ausnahmesituation“ die allgemein verständliche, durchaus lebensnahe demonstrative Aufzählung „außerordentlicher Zufälle“ in § 1104 ABGB zählen; damit der Risikoausschluss zur Anwendung gelange, müsse die „Ausnahmesituation“ von einer „Regelsituation“ abweichen. Der Begriff „Ausnahmesituation“ werde vom Rechtsschutz-Versicherer nicht näher definiert. Er ist – so der OGH – „… so unbestimmt, dass im allgemeinen Sprachbereich gerade keine klaren Kriterien bestehen, die eine zweifelsfreie Zuordnung jeder möglichen Situation entweder als Regelfall oder als Ausnahme zulassen.“ Der in der Klauselverwendete Begriff würde zahlreiche Interpretationen zulassen, die von der bloß unüblichen Situation bis hin zum nicht beherrschbaren außerordentlichen Zufall im Sinn des § 1104 ABGB reichen. Da der Verbraucher aber die Reichweite des Risikoausschlusses – und damit seine Rechtsposition – nicht verlässlich abschätzen könne, bestünde die Gefahr, dass er aufgrund des unbestimmten Begriffs „Ausnahmesituation“ davon absieht, allenfalls berechtigte Ansprüche gegen Rechtsschutz-Versicherer geltend zu machen.
Die Klausel ist damit- so der OGH abschließend - intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG.
Auswirkungen für die Praxis
- Das Transparenzgebot nach § 6 Abs 3 KSchG gilt bekanntlich ausschließlich im Verbrauchergeschäft. Infolge der aktuellen OGH-E 7 Ob 169/22m kann sich der betroffene Rechtsschutz-Versicherer (und „indirekt“ wohl auch andere RS-VR) somit einem Konsumenten gegenüber nicht mehr auf die Ausnahmesituationsklausel (in der vorliegenden Form) berufen.
- Ist der VN hingegen Unternehmer, greift die Intransparenz nicht, da § 6 Abs 3 KSchG im beiderseitig unternehmensbezogenen Geschäft nicht anzuwenden ist. Nachdem i.S.d. OGH-E 7 Ob 42/21h die Ausnahmesituationsklausel nicht gröblich benachteiligend ist, muss der Unternehmer-VN sie daher ggf. gegen sich gelten lassen.
Prof. Mag. Erwin Gisch
Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA, ist Rechtsschutz-Spezialist (ehemaliger Bereichsleiter für Versicherungstechnik und -Recht und vormaliger Rechtsschutz-Schadenleiter), Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Universitäts-Lektor an der Donau Uni Krems, der WU-Wien und am Juridicum in Wien
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