Geht die Versicherungswirtschaft bei der Prämienberechnung von „völlig unrealistischen Modellen“ der Lebenserwartung aus? Ein „Faktencheck“ lässt den Verein für Konsumenteninformation (VKI) vermuten, dass der Risikopuffer bei Renten- und Ablebensversicherungen „mehr als großzügig“ bemessen ist.
Redakteur/in: Mag. Peter Kalab - Veröffentlicht am 22.03.2018
In der Mehrzahl der Fälle seien die Verträge vor allem ein gutes Geschäft für die Versicherer, resümiert der VKI. „Die Versicherungswirtschaft rechnet bei der Rentenversicherung mit extrem erhöhten Lebenserwartungen des Kunden“, sagt Bianca Boss, Sprecherin des deutschen Bundes der Versicherten. Das Resultat für den Kunden sei, dass die monatlich vereinbarte Rente sinkt.
Mit tatsächlicher Lebenserwartung „nur bedingt zu tun“
Bei Renten- und Sterbeversicherungen wird die Prämie anhand der wahrscheinlichen Lebenserwartung der Versicherten berechnet. Grundlage dafür bietet nicht die durchschnittliche Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung, sondern sogenannte Sterbetafeln. Diese werden von der österreichischen Aktuarvereinigung, der Interessengemeinschaft der Versicherungssachverständigen, erstellt und existieren in unterschiedlichen Varianten. Die Tabellen basieren auf beobachteten Sterbehäufigkeiten der Vergangenheit und auf Modellannahmen für zukünftige Entwicklungen. Mit der tatsächlichen statistischen Lebenserwartung haben diese kalkulierten Modelle der Versicherungswirtschaft allerdings nur bedingt zu tun, so der VKI.
“Ablebensalter“ jenseits von 90 Jahren
Im Fall einer privaten Rentenversicherung besteht für den Versicherer ein „Langlebigkeitsrisiko“. Wird der Kunde älter als berechnet, ist das eingezahlte Kapital aufgebraucht und er wird zum Verlustgeschäft für das Unternehmen. Entsprechend hoch werde die Lebenserwartung in den Sterbetafeln der Versicherungsbranche angesetzt. Die dem VKI vorliegenden Tarife (lebenslange Rente) seien allesamt mit einem „Ablebensalter“ jenseits von 90 Jahren kalkuliert worden. Der Kunde müsse also schon sehr alt werden, wenn er sein eingesetztes Kapital „ausschöpfen“ will.
Überdurchschnittlich hohe Sterbewahrscheinlichkeit
Ein ganz anderes Bild zeigt sich bei der reinen Ablebensversicherung. Hier besteht das finanzielle Risiko für den Versicherer im vorzeitigen Tod des Kunden („Ablebensrisiko“). Stirbt dieser während der Versicherungslaufzeit, muss der Versicherer die Leistung an die Hinterbliebenen bzw. die Begünstigten auszahlen. Der VKI kommt zu dem Schluss: Bei diesem Modell gehen Versicherer nicht von einer hohen Lebenserwartung aus, sondern legen stattdessen eine hohe Sterbewahrscheinlichkeit zugrunde. So wurde bei den untersuchten Tarifen die Wahrscheinlichkeit, dass ein heute 50-Jähriger vor dem 65. Lebensjahr verstirbt, mit 20 bis 40% kalkuliert. Laut Statistik Austria liegt die Lebenserwartung dieser Altersgruppe aber bei durchschnittlich über 80 Jahren und die Sterbewahrscheinlichkeit damit weit unter dem von Versicherern angenommenen Wert.
Überhöhte Prämien und unrealistische Versprechen?
Für den VKI stellt sich die Frage, „wie viel Puffer die Versicherungswirtschaft tatsächlich braucht und ob die Risikovermeidung nicht für die Mehrzahl der Versicherten zu überhöhten Prämien und unrealistischen Versprechen führt“. Die Sterbetafeln würden vor allem die Interessen der Versicherer und nicht jene der Versicherten begünstigen. Aktuare und Versicherungsmathematiker sollten sich „gegen die Interessen der Unternehmen und Aktionäre behaupten“. Neben einer Überarbeitung der Sterbetafeln fordert der VKI auch, dass Versicherungen zur Offenlegung ihrer Kalkulationen verpflichtet werden.
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