Neue Technologien heben Betrugsmöglichkeiten auf eine neue Ebene, der wirtschaftliche Druck aufgrund immer höher werdender Lebenskosten steigt und die österreichische Mentalität betrachtet Versicherung noch immer als eine Form des Sparens. Da die Versicherungen hierzulande – anders als in den nordischen Ländern – unzureichend untereinander vernetzt sind, ihre Prozesse nach wie vor vergleichsweise analog laufen und eine zweifelsfreie Überprüfung auf Identität und Betrugsindikatoren derzeit nur in Einzelfällen beim Makler oder im Direktvertrieb erfolgen, bleiben kleinen wie großen Betrügern einige offene Flanken.
Artikel von:
Robert Gottwald
Key Account Manager für die Sektoren Energie und Versicherungen; CRIF Austria
Globaler Volkssport
Befragt man die Schadenmanager heimischer Versicherungen, so erhält man Schätzungen, dass in Österreich 7 bis 11% aller Schadenzahlungen aufgrund von Betrug erfolgen, wobei die organisierte Kriminalität hier erstaunlicherweise nur bei 2–3 Prozentpunkten vermutet wird. Genaue Zahlen gibt es nicht, auch der VVO weist keine konkreten Zahlen zum Versicherungsbetrug aus.
Handwerker und Werkstätten verlangen mehr, wenn es ohnehin die Versicherung bezahlt („Machen wir das über die Versicherung oder zahlen Sie selbst?“). Und beim wohlklingenden Dolus Coloratus, der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung, werden Versicherungswerte höher angenommen, Dokumente zurückgehalten, da wird bei den Angaben zur Krankenversicherung ein bisschen geschummelt – und nein, Alkohol war selbstverständlich nicht im Spiel.
Zum Vergleich: In Deutschland beziffert der GDV die jährlichen betrugsbedingten Verluste im Jahr 2024 auf 5,5 Mrd. Euro, in den USA schätzt die Coalition Against Insurance Fraud die Schäden im gleichen Zeitraum auf über 300 Mrd. Dollar. Und selbst in der so korrekten Schweiz sind nach Schätzungen von Bearing Point 10% aller Schadenzahlungen fraudulent. Versicherungsbetrug ist also nicht nur Teil der österreichischen Mentalität, sondern ganz offensichtlich ein globaler Volkssport.
Die Zeichen für Betrug stehen weiterhin gut.
Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt einen Anstieg der Betrugsanzeigen von 50.000 (2022) auf 66.000 im Jahre 2024. Das Betrugsdreieck des Kriminologen Donald Cressey erklärt warum: Druck, Rechtfertigung und Gelegenheit.
Der wirtschaftliche Druck dürfte in nächster Zeit angesichts der makroökonomischen Datenlage, Inflation, weiter steigender Lebenshaltungskosten, geopolitischer Krisen und dem drohenden Ende des Bullenmarkts an den Börsen zumindest nicht nachlassen. Gründe zur Rechtfertigung gibt es auch, man braucht nur auf die Diskussion zur „Übergewinnbesteuerung“ von Energiekonzernen zu blicken. Und die 21,4 Mrd. Euro Prämieneinnahmen und das um 62% auf 1,7 Mrd. gestiegene EGT der Versicherungen im ersten Halbjahr 2025? Ist das nicht auch ein Übergewinn? Warum sollte ich mir hier kein Stück vom Kuchen holen, es trifft keine Armen.
Zu schlechter Letzt noch die Gelegenheit. Neue Technologien treiben Betrug auf ein neues Level: Fraud-as-a-service Ökosysteme aus Myanmar offerieren in Onlineshops hochprofessionelle, KYC verifizierte Personenkonten um 150 US-Dollar. Deepfakes mit Bildern, Videos sowie Videocalls mit “künstlichen Versicherten“ können von uns Menschen nicht mehr unterschieden werden. Social Engineering, Botnets oder Prompt Injections sind weitere Gefahren im Kontext von KI. Und während sich diese Systeme mit rasender Geschwindigkeit weiterentwickeln, ist bei uns die KI im Schaden vielerorts erst „schön langsam im Werden“.
Die Häufung ist das Um und Auf
Schadensmanager und Verbände sind jedenfalls überzeugt, dass „es ohnehin immer die gleichen Leute sind.“ Die Häufung der Schadenfälle ist also ein wesentlicher Bestandteil, um Versicherungsbetrug besser in den Griff zu bekommen. Doch in Österreich fehlt ein System, um diese Häufung zu erkennen. Ein Schadenmanager berichtete mir, dass im Durchschnitt von sieben von ihm gemachten Anzeigen tatsächlich „nur einer der Angezeigten ins Gefängnis wandert.“ Betrügerbanden, die sich gegenseitig reinfahren, oder Betrüger, die Unfälle durch immer gleiche Spurwechseltricks verursachen, fliegen nur dann auf, wenn sie zufällig mehrere Male ein Haftpflicht-Opfer bei der gleichen Versicherung erwischen.
Schwieriger Datenaustausch
Anders als heimische Banken, die eng zusammenarbeiten, wenn es um polizeilich angezeigten Betrug geht, sind Versicherungen hier nur unzureichend untereinander vernetzt. Auch werden bei den Versicherungen aufgrund des administrativen Aufwands und der schieren Zahl der Fälle nur ausgewählte Betrugsversuche zu Anzeige gebracht, „die wirklich schlimmen“. Und ein Austausch mit Personen- und Objektbezogenen Schadeneinträgen ohne polizeiliche Anzeige bringt enorme datenschutzrechtliche Hürden mit sich.
Ein lohnenswerter Blick bietet sich zu den nordischen Ländern, wo die öffentliche Unterstützung für Anti-Betrugsmaßnahmen viel höher als bei uns ist, und die Versicherer sehr eng untereinander und mit den Branchenverbänden zusammenarbeiten. Versicherungen dieser Länder können auf gemeinsame, teilweise sogar grenzüberschreitende, Schadendatenbanken, Register und Betrugsinformationen zugreifen. Die umfassende Speicherung der Schadenhistorien ist dabei unerlässlich, um Betrugsmuster KI gestützt zu erkennen, und spartenübergreifend Betrugserkennung zu ermöglichen.
Drum prüfe, mit wem du dich ins Bett legst
Die Versicherungen der nordischen Länder sind auch wesentlich stärker digitalisiert als der Rest von Europa. Digitale Prozesse sowie eine lückenlose Identitätsfeststellung über E-ID spielen eine zentrale Rolle sowohl in der Antragsstrecke als auch bei der sicheren und verifizierbaren Abwicklung von Schadenmeldungen.
In Österreich verlässt man sich im Antrag nach wie vor hauptsächlich auf Versicherungsagenten und Makler, die mit Sicherheit ein guter Filter für Betrüger sind. Doch eine Vorab-Überprüfung eines jeden einzelnen Kunden vor Vertragsabschluss mittels ID Austria und Betrugsindikatoren, wie es so gut wie alle heimischen Banken und Leasingunternehmen seit Jahren machen, ist bei den Maklern und Agenten sowie bei den Versicherungen selbst noch immer die absolute Ausnahme. Hier hilft ein Blick auf den deutschen Markt, wo die Überprüfung auf Betrugsindikatoren im Antrag bei so gut wie allen Versicherungen mittlerweile Standard ist.
Die Kombination aus österreichischer Bewusstseinskultur, einer noch ausbaufähigen strategischen Zusammenarbeit und der gemächlichen technologischen Veränderungsbereitschaft unserer Versicherungswirtschaft eröffnet der wachsenden Zahl kleiner wie großer Versicherungsoptimierer – geschützt durch ein strenges DSGVO-Korsett – weiterhin die Möglichkeit, Versicherungen als attraktive Quelle für Nebeneinkommen zu betrachten.
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