Die Aussicht auf eine Lockerung der US-Kapitalmarktregulierung weckte zum Jahresstart Optimismus. Gleichzeitig schürten starke US-Arbeitsmarktdaten neue Zinsängste und belasteten die Börsen. Dies könnte den Rückenwind für Fusionen und Übernahmen (M&A) dämpfen. Während die globalen M&A-Aktivitäten 2024 stark zulegten, wurde für 2025 bisher weiteres Wachstum erwartet. In Deutschland rechnen rund 85% der Unternehmen mit einer Marktbelebung. Wolfgang Fickus, Produktspezialist bei Comgest, erläutert, welche Aspekte aus Investorensicht entscheidend sind, wenn Unternehmen auf Shopping-Tour gehen.

Redakteur/in: Kerstin Quirchtmayr - Veröffentlicht am 30.01.2025
Geopolitische Spannungen und protektionistische Handelspolitik, vor allem in den USA, erhöhen den Druck auf europäische Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle global zu diversifizieren. M&A kann als strategisches Instrument nachhaltiges Wachstum fördern – vorausgesetzt, Integration und Synergien gelingen. Comgest analysiert in seiner Strategie „Growth Europe Compounders“ Unternehmen, die vor allem organisch wachsen, M&A jedoch gezielt als Wachstumsbeschleuniger nutzen. Der Erfolg solcher Transaktionen dient zugleich als Test für unternehmerisches Geschick.
Wachstum beginnt bei der Innenfinanzierungskraft
Um erfolgreich zu sein, nutzen diese Unternehmen („Compounders“) ihre außergewöhnlich starke Innenfinanzierungskraft. Die Free-Cashflow-Margen der Unternehmen im „Comgest Growth Europe Compounders“ waren im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt fast dreimal so hoch wie im MSCI Europe ex Financials. Ihre Unternehmensgröße ermöglicht Synergien, die kleineren Unternehmen verwehrt bleiben. Unabhängig von der Lage der Kapitalmärkte verschafft ihre große Finanzkraft Zugang zu attraktiven Wachstumsmöglichkeiten. Das ist entscheidend, da der M&A-Markt prozyklisch ist. Die meisten Unternehmen sind auf hohe Aktienkurse angewiesen, um Übernahmen zu finanzieren, was oft zu überteuerten Akquisitionen führt. „Compounders“ hingegen können wachsen, ohne die Verschuldung zu erhöhen oder den Marktzyklen hinterherzulaufen. Kluges Investieren erfordert Geduld und den Mut, genau dann zuzugreifen, wenn andere zurückhaltend sind.
Ein Beispiel ist L'Oréals Übernahme der Luxusmarke Aesop Anfang 2023 – mitten in einer Phase stark steigender Zinsen. L’Oréal bezahlte die 2,5 Mrd. US-Dollar Kaufpreis aus eigener Nettoliquidität, während das finanziell angeschlagene Unternehmen Natura sich gezwungen sah, sein Kronjuwel zu veräußern. L'Oréal nutzte die Gelegenheit, um Aesop durch seine globale Präsenz zu skalieren. Ein ähnliches Szenario zeigte sich bei der Übernahme von CeraVe. Nach dem Kauf von der finanziell schwächelnden Valeant konnte L'Oréal den Umsatz der Marke mittlerweile auf das Dreizehnfache steigern. Seit seiner Gründung hat L'Oréal ein Portfolio aus über 40 Beauty-Marken aufgebaut, das unterschiedlichste Marktsegmente abdeckt – vom Retail-Markt (z.B. Essie, NYX) über Luxus (z.B. YSL, Prada) bis hin zu Professionals (z.B. Redken, Kérastase). Dieser Ausbau hat es ermöglicht, über Jahrzehnte hinweg nachhaltiges Gewinnwachstum zu erzielen.
Gezielte Akquisitionen statt riskanter Transformation
Weitere Aspekte sind, dass überschaubare Akquisitionen die langfristige Strategie unterstützen, klar in das bestehende Geschäftsmodell passen und gezielt Synergien schaffen sollen. „Transformatorische M&A“-Projekte, die kurzfristiges Wachstum erzeugen und Integrationsrisiken bergen, sind hingegen sehr risikoreich. Warum sollten Unternehmen, die in ihrem Kerngeschäft über Jahrzehnte erfolgreich Wert geschaffen haben, radikale Veränderungen über Nacht anstreben? Ein warnendes Beispiel ist die Übernahme von Monsanto durch Bayer im Jahr 2018. Die angestrebte Transformation führte zu einer enormen Verschuldung und beeinträchtigte die Unternehmensentwicklung langfristig – der Börsenwert sank von 120 Mrd. Euro im Jahr 2018 auf zuletzt rund 20 Mrd. Euro. Für uns war das Risiko früh erkennbar, weshalb wir uns bereits 2016 von unserer Bayer-Beteiligung trennten.
Die Brücke in neue Märkte
Die Akquisitionsstrategie von Assa Abloy verfolgt das Ziel der Diversifikation und der Erschließung neuer Märkte. Das schwedische Unternehmen, das 1994 selbst aus einer Fusion hervorging, bietet ein umfangreiches Portfolio an Schlössern und Sicherheitslösungen, darunter digitale Schlösser, Etiketten und automatische Zugangssysteme. Seit 2018 hat Assa Abloy mehr als 100 kleinere Unternehmen übernommen und in seine langfristige Strategie integriert. Als Marktführer konsolidiert das Unternehmen den sehr fragmentierten Sektor. Die Übernahmen haben es Assa Abloy ermöglicht, neue Vertriebsregionen wie die USA und Brasilien zu erschließen, das Produktportfolio zu erweitern und durch das globale Vertriebs- und Produktionsnetzwerk kontinuierlich Kosten- und Umsatzsynergien zu realisieren.
Unternehmen nutzen Übernahmen, um sich gezielt weiterzuentwickeln. Die französische Schneider Electric, ursprünglich vor über 180 Jahren als Bergbauunternehmen gegründet, ist ein Paradebeispiel dafür. Durch Akquisitionen wie den Steuerungstechnik-Hersteller Square D (1991), den Spezialisten für Industrieautomatisierung Telvent (2011) und das Softwareunternehmen Aveva (2017) hat sich Schneider Electric zu einem führenden Anbieter von Turnkey-Lösungen im Energiemanagement entwickelt. Heute profitiert das Unternehmen von der globalen Nachfrage nach energieeffizienten Technologien sowie CO2-reduzierenden Lösungen und spielt auch im wachsenden US-Markt für Rechenzentren eine Schlüsselrolle.
Foto oben: Wolfgang Fickus, Produktspezialist bei Comgest
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