Die Rechtsschutzversicherung kennt eine Reihe ganz spezifischer Obliegenheiten, zu deren Einhaltung der Versicherungsnehmer angehalten ist, um den Versicherungsschutz nicht zu verlieren. Diese sind in der Regel als sogenannte sekundäre Obliegenheiten ausgestaltet, also als Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls. Damit unterliegen sie den Rechtsfolgen des § 6 Abs 3 VersVG. Die folgenden Beiträge der Serie „Rechtsschutz im Fokus“ geben u.a. einen Überblick über die in der Praxis besonders bedeutsamen Obliegenheiten der Schadenmeldung & Aufklärung sowie über die Abstimmungsobliegenheit und die Schadenminderungs-/Kostenminimierungsobliegenheit.
Artikel von:
Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA
Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler und Lektor an der Donau Uni Krems, WU-Wien und Juridicum Wien
Die rechtsschutzspezifischen allgemeinen Obliegenheiten sind in Standard-ARB üblicherweise vorwiegend in Art. 8 ARB aufgelistet. Art. 8 ARB beinhaltet aber keine abschließende Aufzählung, d.h., dass daneben, also in anderen Bedingungsstellen ebenfalls Obliegenheiten geregelt werden, wie typischerweise etwa in Art 6 ARB zur Frage der Übernahme von Rechtsvertretungskosten vor bzw. ab Schadenmeldung oder in Art 13 ARB zum Thema der Erhöhungen des versicherten Risikos.
Zudem existieren in den einzelnen Rechtsschutz-Bausteinen der Besonderen Bestimmungen der ARB (Art 17ff ARB) eine Reihe weiterer, jedoch bausteinspezifisch ausgebildeter vertraglicher Obliegenheiten.
All diesen Obliegenheiten ist gemein, dass es sich um sog. sekundäre Obliegenheiten handelt, also um solche, die nach dem Versicherungsfall einzuhalten sind. Statuiert der Rechtsschutz-Versicherer im Fall der Nichteinhaltung dieser Obliegenheiten die Leistungsfreiheit als Rechtsfolge, dann ist dies ausschließlich unter den in § 6 Abs 3 VersVG normierten Voraussetzungen möglich. Demnach gilt Folgendes:
Die bloß leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung schadet dem VN nicht; der VR ist diesfalls leistungspflichtig;
hat der VN die Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt,
- ist der Versicherer zwar grundsätzlich leistungsfrei,
- dem VN steht aber die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises offen; d.h. kann er den Nachweis erbringen, dass die Obliegenheitsverletzung auf die Feststellung des Versicherungsfalles und/oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers keinen Einfluss hatte. Gelingt dem VN dieser Beweis, ist der Versicherer ganz oder teilweise leistungspflichtig;
- hat der VN jedoch mit Täuschungsvorsatz (dolus coloratus) gehandelt, ist der Rechtsschutz-VR jedenfalls leistungsfrei; der Kausalitätsgegenbeweis ist diesfalls unzulässig.
Wer muss was beweisen? Für das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung ist der VR beweispflichtig; dem VN obliegt sodann der Verschuldensgegenbeweis bzw – sofern zulässig – der Kausalitätsgegenbeweis (siehe z.B. OGH 7 Ob 92/19h).
Unverzügliche Schadenmeldung / Aufklärungsobliegenheit
Art. 8.1.1. ARB hält den VN, sobald dieser Versicherungsschutz verlangt, dazu an,
- den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären,
- dem VR des Weiteren alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen und schließlich
- vor Ergreifung von Maßnahmen zur Wahrnehmung rechtlicher Interessen die Bestätigung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer einzuholen.
Diese Aufklärungs- und Vorlagepflichten stellen im Wesentlichen rechtsschutzspezifische Ausformungen der allgemeinen Anzeige-, Informations- und Auskunftsobliegenheiten der §§ 33 und 34 VersVG dar.
Dem Wortlaut des Art 8.1.1. ARB zufolge hat die Aufklärung durch den VN
- unverzüglich,
- vollständig und
- wahrheitsgemäß
- zu erfolgen.
Zur Unverzüglichkeit: § 33 VersVG verpflichtet den VN grundsätzlich zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalls; der Begriff der Unverzüglichkeit wird i.d.Z. im Allgemeinen als „ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden. Diese gesetzliche Obliegenheit gilt nach stRspr für die Rechtsschutzversicherung jedoch nur eingeschränkt: Während aufrechten Versicherungsvertrags hat der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“ (siehe dazu z.B. OGH 7 Ob 206/19y = versdb 2020, 35). Dies beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, wenn sich also die rechtliche Auseinandersetzung derart konkretisiert hat, dass der VN mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen.
Der OGH geht also davon aus, dass eine Auseinandersetzung – salopp formuliert – ein gewisses Eskalationsstadium erreicht haben muss; erst dann entsteht in der Rechtsschutzversicherung die Obliegenheit zur unverzüglichen Meldung des Schadenfalls.
Achtung: Die Frage, wann sich „kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen“ und der VN mit allfälligen Rechtsvertretungskosten rechnen muss, ist stets einzelfallbezogen zu beurteilen. In der Praxis empfiehlt es sich daher, eher frühzeitig den Rechtsschutz-VR zu informieren;
diese Interpretation des OGH gilt ausschließlich bei noch aufrechten Versicherungsverträgen. Ist der Versicherungsvertrag bereits beendet und insb. auch die Nachmeldefrist abgelaufen, ist die Judikatur wesentlich strenger (siehe dazu den kommenden 2. Teil dieses Beitrags).
Was bedeutet nun konkret „unverzüglich“?
Der OGH gibt dazu keine Anzahl an Tagen oder dgl. an, sondern beurteilt ausschließlich in den an ihn herangetragenen Fällen (also im Einzelfall), ob die Anzeige noch unverzüglich war oder nicht.
Die kommenden Beiträge zum Thema der Obliegenheiten werden sich u.a. mit den Begriffen der Vollständigkeit der Anzeige sowie mit der Schadenmeldung bei bereits beendetem Versicherungsvertrag auseinandersetzen und weitere rechtsschutzspezifische Obliegenheiten skizzieren.
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